Quantifizierte Kritik – Digitale Technik und die Herstellung von Wertigkeiten an Universitäten
- „Skalen, Normen, Grenzwerte im (digitalen) Wandel“. Gemeinsame Jahrestagung der GTG und der GWMT 2021
Veranstalter*innen
Datum
- 18. September 2021– 12:00–13:00 Wien, Österreich (Online)
Schlagwörter
Technikgeschichte, Digital Humanities, Kulturgeschichte, Kulturwissenschaft, Psychologie, Softwareentwicklung, Wissenschafts- und Technologiepolitik, Wissenschaftskommunikation
Abstract
Im Digitalen, so scheint es, sind Skalen, Normen und Grenzwerte nicht nur fest verankert, sondern sie werden auch als gegeben und nicht hinterfragbar erlebt. Digitale Informationssysteme vermessen und quantifizieren unseren Alltag und das, was wir in der Arbeit und beim Sport „leisten“. Die neu formierten valuation studies verweisen auf die damit einhergehende Herstellung von Wertigkeit und darauf, dass wir „Nutzer*innen“ die Daten zumeist freiwillig einspeisen. Facebook als das „Assessment-Center der alltäglichen Lebensführung“ (Carolin Wiedemann) und die Metaphorik des graphical user interface, das seine Begriffe und ikonischen Zeichen der Bürokratie entnimmt (file, folder), verorten die Entwicklung der nunmehr überwiegend webbasierten Software in der Geschichte der Moderne, des Kapitalismus und der post-industriellen Arbeitswelt; so verstand der Soziologe Armin Nassehi 2019 die gesellschaftliche Moderne gar als „immer schon digital“. Überprüfbarkeit, Protokollierung und eine fortwährende Inventur des Lebens sollen der Vergleichbarkeit dienen. Kritiker*innen sprechen von einer hierarchisierenden Soziometrie und letztlich einer Naturalisierung sozialer Ungleichheit. Das Panel „Quantifizierte Kritik“ möchte auf den Ort fokussieren, der dieser Kritik Raum gibt bzw. geben soll, die Universität und damit letztlich die Wissenschaft. Wenngleich mit dem vergangenen Covid-19 bedingten Krisenjahr eine verstärkte Digitalisierung der Forschung und der Lehre einherging, so ist die Geschichte der digitalen Systeme an den Universitäten viel älter. Digitale Technik war und ist an Universitäten sowohl in der Entwicklung der Technik als auch in der Kritik Untersuchungsgegenstand der Wissenschaft. Sie ist zudem Teil des Arbeitsalltags von Wissenschaftler*innen und wird für die Verwaltung der Forschung an Universitäten, Bibliotheken, Archiven und von Forschungsförder*innen und der Politik eingesetzt. Internationale Normen, wie beispielsweise der impact factor (IF), sollen eine Vergleichbarkeit wissenschaftlicher Leistungen herstellen und damit auch diejenigen ausfindig machen, deren Forschung förderungswürdig ist. Wenngleich sich Kritiker*innen der Quantifizierung wissenschaftlichen Arbeitens international vernetzen und politisch aktiv werden, vgl. u.a. Declaration on Research Assessment (DORA), durchdringen Metriken den Arbeitsalltag an Universitäten. Das Panel widmet sich einer speziellen Technik, die in den vergangenen Jahren zunehmend an Universitäten implementiert wurde. In Forschungsinformationssystemen (FIS/CRIS) sollen Wissenschaftler*innen (aber auch Künstler*innen) laufend ihren sogenannten „Output“ erfassen. Universitäten verwenden diese Informationen u.a. für die Erstellung der Wissensbilanz, eine der Grundlagen für die Evaluation und Bemessung der Finanzierung der Universitäten. Die beiden international weithin verbreiteten Systeme „Pure“ und „Symplectic“ sind in Besitz der beiden Medienkonzerne Elsevier/RELX Group und Holtzbrinck Publishing Group. Gemeinsam mit weiteren Konzernen, wie beispielsweise Clarivate, in deren Besitz der bereits erwähnte impact factor ist, verkaufen sie den Universitäten nicht nur Dienstleistungen im Bereich des Publizierens (Journals), sondern auch zunehmend Software und Kennzahlen, die sie aus den von den Wissenschaftler*innen eingetragenen Informationen gewinnen (bei Pure liest man dazu beispielsweise „View high-level summaries and analyses via personalized lists or dashboards and drill down to person, org. unit or project level“). Grundlage des Panels ist das mehrjährige Digital Humanities Forschungsprojekt „Portfolio/Showroom – Making Art Research Accessible“ (2017–2021, portfolio-showroom.ac.at), das dem Modell des „Thinkering“ (Erkki Huhtamo) folgt und Forschungsinformationssysteme untersucht. Die Untersuchung erfolgt dabei sowohl durch eine Analyse des wissenschaftspolitischen Kontexts und durch eine Technikgeschichte der FIS als auch am Material, am Code und am user interface. In der interdisziplinären Zusammenarbeit von Software-Entwickler*innen, Bibliothekar*innen, Kulturwissenschaftler*innen und Psycholog*innen erarbeitete das Projekt das Open Source FIS „Portfolio“, das auf Metriken verzichtet und auf einem Vokabular aufbaut, das sich am Arbeitsalltag von Wissenschaftler*innen (und Künstler*innen) orientiert (voc.uni-ak.ac.at). Mittels empirischer Daten (u.a. Gruppendiskussionsverfahren und Dokumentarische Methode, Walkthrough-Methode) werden kommerzielle FIS mit Portfolio vergleichend analysiert; die Erkenntnisse daraus fließen wiederum in die Software-Entwicklung ein. Das Panel bei der gemeinsamen Jahrestagung der GTG und GWMT stellt die interdisziplinäre Methode vor, geht auf Erkenntnisse aus der empirischen Studie ein und verortet Forschungsinformationssysteme vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung von Bibliotheks- und Archivsystemen und deren Systematiken (u.a. MARC Standard). Beiträge Aglaja Przyborski: Orientierungsrahmen von Wissenschaftler*innen im Umgang mit FIS. Moritz Meister: Komparative Analyse zweier FIS-Interfaces mittels Walkthrough-Methode. Andreas Ferus: Impact Factor, Altmetrics und Open Access. Wissenschaftsmetriken aus bibliothekarischer Perspektive. Florian Bettel: Portfolio und Showroom. Eine Hands-on Technikgeschichte der Forschungsinformationssysteme.
Vortragende
Aktivitätenlisten
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- Florian Bettel - Organisation
- Veronika Kocher - Moderation
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Ort
Adresse
- Wien, Österreich
- Vienna
- Austria
Mediendateien
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