Wessen Invasion?

Vortrag

Vortragende

Nanna Heidenreich , Löffler, Petra , Lettenewitsch, Natalie , Vagt, Christina

Datum

  • 22. September 2021–25. September 2021 Innsbruck Universität, Innsbruck, TR, Österreich (Online)

Text

Ozeanische Epistemologien (Panel im Rahmen der GfM Jahrestagung "Wissensökologien") Dieses Panel verschränkt zwei medienökologische Perspektiven miteinander: Wir wollen die Medien und Technologien der wissenschaftlichen Erkundung des Meers und seiner Habitate, die sich parallel zur Kolonialisierung der Ozeane herausgebildet haben, mit der Einwanderung und Verbreitung mariner Spezies verbinden und als wissensökologische Konstellation untersuchen. Es gilt, die Medien der Invasion mit der wissenschaftlichen Konstruktion und Ordnung invasiver Arten in Verbindung zu bringen und ihre Wechselwirkungen auszuloten. Dazu werden wir das Meer nicht nur als dynamisches artenreiches Habitat mit fluiden Grenzen begreifen, sondern gleichermaßen als fragiles epistemisches Milieu, in dem biologische Theorien der Diversität und maritime Medientechnologien gleichermaßen erprobt wie situierte Wissenspraktiken ausgebildet werden. Uns interessiert dabei besonders die Frage, in welchem (reziproken) Verhältnis die Einwanderung mariner Spezies in artfremde Habitate zur zunehmenden invasiven Erkundung und Erforschung aquatischer Räume durch marine Infrastrukturen (Handelsrouten, Expeditionen), Ozeanographie und Meeresbiologie gleichermaßen steht. Dies wollen wir exemplarisch an zwei Konstellationen diskutieren: 1. Korallenriffe sind von den Auswirkungen anthropogener Klimaveränderungen (Erwärmung, Versauerung der Ozeane) stark betroffen. Korallenbleichen treten in signifikanter Häufigkeit und Intensität auf und gefährden nicht nur die Artenvielfalt von Riffbewohnern, sondern auch die Ökologie mariner Habitate. Meeresbiologische Forschungen operieren nicht nur in diesen Habitaten selbst mit Medientechniken der Beobachtung und Überwachung (Unterwasserstationen, Tauchtechniken, mediale Aufzeichnung), sondern auch in Laboren mit bildgebenden Verfahren (Mikroskopie), um die Auswirkungen von Stressoren (Erwärmung und Versauerung der Meere) zu erforschen und geeignete Methoden zu entwickeln, dem Korallensterben durch die Züchtung widerstandsfähigerer Arten zu begegnen. Diese wissenschaftlichen Verfahren einer assistierten Evolution machen das Meer mit seinen multiskalaren Lebensräumen selbst zu einem Schauplatz invasiver (Medien-)Techniken und damit zu einem epistemischen Milieu sui generis. Sie stehen dabei in der Tradition von Wissenspraktiken, die seit dem 19. Jahrhundert in Ozeanographie und Meeresbiologie entwickelt und angewendet wurden: der Vermessung von Meerestiefen durch Lotungen bzw. Echolotungen, der Erkundung der Tiefsee und der darin lebenden Arten durch Schleppnetze, Taucherglocken, U-Booten und Rover sowie ihrer fotografischen bzw. filmischen Erfassung. 2.: Die Weltmeere sind zentrale Schauplätze von Migrationsbewegungen - von Menschen und zahlreichen andere Arten. 2017 trat das internationale Ballastwasser-Übereinkommen in Kraft, welches das „Einschleppen“ invasiver Arten im Ballastwasser großer Handels-, heute zumeist Containerschiffe, durch den Einsatz von Filtersystemen verhindern soll. Der Anthropologe Stefan Helmreich hat am Beispiel Hawa‘ii gezeigt, dass die Maßnahmen zum Schutz vor invasiven Arten jedoch ähnliche kritische Fragen aufwerfen, wie eine Politik, die Menschen als nicht/zugehörig klassifiziert. Nicht zuletzt deswegen, weil der Begriff der invasiven Arten regelmäßig mit einer sehr spezifischen historischen Zäsur in Verbindung gebracht wird, der Invasionsentdeckung der Amerikas durch Columbus im Jahr 1492. Dieses Jahr gilt nicht nur in der Biologie als „Stichtag“ für die Bestimmung von Neobiota, sowohl bei Tieren (Neozoen) als auch bei Pflanzen (Neophyten). Die notwendige Kritik am massiven Eingriff in marine Habitate etwa durch den Bau gigantischer Infrastrukturprojekte wie des Suezkanals (1869) und die dadurch ermöglichte Invasion von Spezies in das Mittelmeer sowie den damit einhergehenden Abbau maritimer Ressourcen als eine Ursache von Klimakrise und Artensterben, darf nicht übersehen, dass das klassifizierende Verhältnis westlicher Wissenschaften zu einer als Objekt begriffenen „Natur“ spezifische Grenzziehungen und Zuschreibungen vornimmt: von innen (Kultur) und außen (Natur), einheimisch und eingewandert, die wir in diesem Panel kritisch verhandeln wollen. Im Gespräch wollen wir Wissensökologien erkunden, die (Medien-)Technologien sowie Praktiken der Kolonialisierung und Klassifizierung antreiben bzw. von ihnen angetrieben werden.

Titel der Veranstaltung

Ozeanische Epistemologien. Panel bei der Jahrestagung der GfM "Wissensökologien"

Veranstalter*innen

Nanna Heidenreich , Löffler, Petra

Ort

Adresse

  • Innsbruck Universität, Innsbruck, TR, Österreich
  • Innsbruck
  • Österreich
Veröffentlicht Von: Nanna Heidenreich | Universität für Angewandte Kunst Wien | Veröffentlicht Am: 09. Mai 2022, 11:45 | Geändert Am: 24. November 2022, 09:32