Abstract
Was kann das sein, die Utopie des Wiener Gemeindebaus? Franz Schuh, Schriftsteller und Essayist, beantwortet diese Frage mit der Beschreibung alltäglicher Erfahrungen der Menschen, denen der Gemeindebau ein Dach über dem Kopf gibt. Utopie kann eine neue Heizung sein, die Jahre der Kälte und Mühsal beendet, und sie kann eine Form des Zusammenlebens sein, in der etwa die Kinderbetreuung gemeinsam organisiert wird. Franz Schuh, geboren 1947, ist im Gemeindebau aufgewachsen. Seine Erinnerungen an die Kindheit sind Teil seines 2008 bei Zsolnay erschienen Buches „Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst“.
Im Gespräch, das Julia Rosenberger und Florian Bettel im März 2012 mit dem Autor geführt haben, bezieht Franz Schuh seine Ausführungen auf den Gemeindebau seiner Kindheit. Den Versuch von Wiener Wohnen beispielsweise, ein „problemloses und angenehmes“ Zusammenleben über Regeln herzustellen, kommentiert Franz Schuh damit, dass das Leben früher „nicht dramatisiert durch Verbote und Regeln“ gewesen sei, vielmehr habe die Arbeit, die als Absicherung gegen die omnipräsente Armut galt, dominiert. Das Utopische des Gemeindebaus in den 1950er-Jahren vermutet Schuh also nicht im ideologischen Kampf des Proletariats, sondern in der Sehnsucht nach Sicherheit in einer von Instabilität und Armut geprägten kapitalistischen Gesellschaft.