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Eine zentrale politische Ordnungsidee prägt die Gegenwart: der Nationalstaat in seinem globalen Regelwerk, wie er als neue Weltordnung nach der Pariser Friedenskonferenz 1919 entstanden ist. Er hat sich so tief in zeitgenössisches Denken und Handeln eingeschrieben, dass andere Formen politischer Organisation unvorstellbar geworden sind, obwohl es ernst zu nehmende Gegenentwürfe wie transnationale Visionen antikolonialer Bewegungen und den kommunistischen Internationalismus gab. Die Jetztzeit der Monster widmet sich – in Anknüpfung an ein Zitat von Antonio Gramsci – den gegenwärtigen Erscheinungsformen des nationalstaatlichen Ordnungsgefüges, untersucht seine Ausschlussmechanismen sowie die darin strukturell verankerte Gewalt und stellt die entscheidende Frage: Was ist jenseits des Nationalstaatensystems denkbar? Heute, angesichts sich ausbreitender Neo-Nationalismen und der Unzulänglichkeiten des Nationalstaatensystems gegenüber weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen, gilt es, Zonen politischer Gestaltungsfreiheit und radikaler ideeller Setzungen zurückzuerobern. Kuratiert von Rana Dasgupta, Nanna Heidenreich und Katrin Klingan, verhandeln internationale Teilnehmer*innen aus Kunst, Literatur, Theorie und Wissenschaft vier Themenfelder. Wie kam es, dass das Nationalstaatensystem alle anderen Vorstellungen politischer Organisation ablöste und was ist in diesem Prozess verlorengegangen? Wie schreiben sich Ungleichheit und asymmetrische Machtverhältnisse im internationalen Staaten- und Rechtssystem fort? Wie ermöglicht Migration ein radikal anderes Denken bestehender Strukturen? Wie lässt sich die aktuelle Rolle des Staates im Beziehungsgeflecht von Globalisierung und Finanzkapitalismus verstehen und wie beeinflusst dieses Verständnis das tatsächliche Wesen des Staates?