Aus der Form geraten, die Fassung verlieren.

  • Was Batailles informe zu einer Theorie von Trash beitragen kann
Vortrag

Vortragende*r

Datum

  • 16. November 2006–18. November 2006 Berlin (Deutschland)

Schlagwörter

Medienforschung, Kunstwissenschaften, Georges Bataille

Text

Georges Bataille hat den Ausdruck „informe“ (formlos, gestaltlos, ungeformt) 1929 im „Dictionnaire Critique“ eingeführt. In diesem antiakademischen Wörterbuch, das sich dem Bizarren und Abweichenden, dem Wertlosen, Lächerlichen, Häßlichen und Populären widmet, schreibt Bataille über das informe: „So ist formlos nicht nur ein Adjektiv, das einen Sinn hat, sondern auch ein Ausdruck, der der Deklassierung dient [...].“ Demzufolge geht es nicht darum, der Form eine Anti-Form entgegenzusetzen, sondern mittlels des informe dem nachzuspüren, was die Reduktion von Wert und Bedeutung erst erzeugt. Explizit auf künstlerische Praktiken des 20. Jahrhunderts bezogen wurde Batailles Begriff im Rahmen der Ausstellung „L’Informe. Mode d’emploi“, die von Yve-Alain Bois und Rosalind Krauss 1996 im Pariser Centre Pompidou ausgerichtet wurde. Das Kuratorenteam versammelte Ausstellungsobjekte, die einen Prozeß der Deklassierung, Abwertung, Verminderung oder Herabsetzung, kurz des lowering in Szene setzen und dadurch systematisch einem Formlos-Werden zuarbeiten. Batailles informe wurde bislang nicht mit der gegenwärtigen Debatte um Ästhetik und Performativität in Verbindung gebracht. Nichtsdestoweniger besitzt das Formlos-Werden ein beträchtliches Potential für eine alternative Genealogie künstlerischer Praktiken, die dem Durchschlag des Materials zum Ausdruck verhilft. Diesem engen Ineinander von „informe“ und „(to) perform“ soll anhand von Beispielen aus bildender Kunst und Film nachgegangen werden. Zur Diskussion stehen John Lethams den Modernismus frontal attackierende, ironische Aktion „Still and Chew“ von 1966, Jack Smiths Underground-Kultfilm „Flaming Creatures“ (1963) und Cécile Fontaines witzig-respektloses „Overeating“ (1984) Das informe ist eine Herausforderung der „guten Form“, es erfüllt eine destabilisierende Funktion in Hinblick auf puristisch-formalistische Tendenzen in der Kunst. Der Fixiertheit auf das Optische setzt es eine Körperlichkeit entgegen, dem Bestehen auf hierarchischen Unterschieden eine Entdifferenzierung, dem Ewigkeitsanspruch die Vergänglichkeit und jeder ins Gefällige abgeglittenen Trash-Ästhetik einen harten Brutismus der Transgression.

Titel der Veranstaltung

Theorie und Trash. Gestaltung und Unordnung

Veranstalter*in

Universität der Künste, Berlin
Veröffentlicht Von: Gabriele Jutz | Universität für Angewandte Kunst Wien | Veröffentlicht Am: 09. Mai 2022, 11:09 | Geändert Am: 24. November 2022, 09:21