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Prähistorische Relikte und zeitgenössische Technologien entfalten eine Welt, in der menschliche Vorstellungen von Zeit aufgelöst werden. Der Ausstellungsraum ist in zwei Bereiche unterteilt: Der erste Raum beherbergt einen aktiven Seismographen, die Resultate seiner Messungen sowie drei Dioramen der Serie Atmosphere ≠ Totality; der zweite ein mystisches, kapselartiges Objekt, das von zwei Trilobit- Fossilien bewacht wird. Die Metallkonstruktion des Seismographen umfasst eine Schriftrolle aus Rußpapier, auf der die im Raum gemessenen Vibrationen festgehalten werden. Während die Fossilien Zeugen einer längst vergangenen Zeit sind, machen die Echtzeit-Messungen des Seismographen die gegenwärtigen Dynamiken sichtbar. Trilobiten waren Gliederfüßer mit Exoskelett, die im Zuge des großen Perm-Trias-Massensterbens vor 252 Millionen Jahren vom Meeresboden verschwunden sind. Ihre obskure Anatomie, die in der Popkultur oft als Inspiration für außerirdisches Leben diente, lässt ihre vergangene Lebensrealität genauso fremd erscheinen wie die ferne Zukunft. In seiner Philosophie des spekulativen Materialismus hat Quentin Meillassoux für dieses Phänomen den Begriff des Archefossils geprägt: Die bloße Existenz versteinerter Lebewesen verweist auf eine Zeit, in der es noch keine Menschen gab, die die Welt hätten wahrnehmen und somit formen können. Solch eine anzestrale Realität impliziert das Dasein einer prä-humanen Welt, die unabhängig von Menschen Bedeutungen außerhalb anthropozentrischer Beobachtungen generiert. Auch der Seismograph nimmt seine Umwelt auf eine uns fremde Weise wahr und zeichnet kontinuierlich die von den im Raum installierten Hubmagneten ausgehenden Vibrationen auf. Die hochsensible Maschine erfasst somit Bewegungen, die für andere Kreaturen nicht spürbar sind. Mittels eines Tiefdruckverfahrens tragen die Messungen die Rußschicht des Papiers ab und graben sich in dessen mikroskopische Umwelt ein. Für die Erosion der metallenen Oberflächen des Seismographen und der an den Wänden befestigten Dioramas wurde die abrasive Technik der Sandstrahlung verwendet. Das Abtragen des Materials entspricht geologischen Methoden, bei denen das Eingraben in die Erdschichten einem Zurückgehen in der Zeit gleichkommt. Analog dazu verhält sich das entropische Material, das in den Dioramen festgehalten wird: Während der Vulkanstein aus dem Erdinneren an die Oberfläche getreten ist, hat der extraterrestrische Meteorit eine Laufbahn aus dem Weltraum in die Erdatmosphäre zurückgelegt; ihre Vektoren treffen sich nun im Ausstellungsraum. Immer wieder entspringen Vibrationen aus dem Kern des Objekts im Nebenraum, in denen einer der Hubmagnete begraben liegt. Der extraterrestrische Sarg gibt unerwartete Impulse von sich, die auf das konstante Streben des Lebens verweisen—auch lange nach dem Tod eines Individuums, das zerfällt und wieder neu zusammengesetzt wird. Mamoru Oshii’s Angel’s Egg zeigt eine Reise durch eine dystopische Welt, in der Ruinen einer Stadt und Überreste prähistorischer Kreaturen miteinander verschmelzen. Die fossile Landschaft dient als fast vergessene Erinnerung an ein früheres Zeitalter, das die Gegenwart wie ein Mausoleum der Vergangenheit erscheinen lässt. Genauso verwandelt Trilobit den Ausstellungsraum in eine inhumane Grabkammer einer unbekannten Zukunft. Doch das Versteinern und Verstählen von Lebewesen bedeutet nicht zwangsläufig Stillstand: Durch die multiplen Wahrnehmungen der seismographischen Verfahren rückt die unendliche Bewegung der Erde als Lebensrhythmus in den Fokus, der eine direkte Verbindung zwischen prähistorischem Leben, uns und unserer Zukunft aufzeigt.