Völlige Begeisterung für jeden Wahnsinn
- Kunststoff, Innovation und Handwerk nach 1945 am Beispiel eines Wiener Familienbetriebs in drei Generationen
Autor*innen
Datum
2021
Schlagwörter
Kulturwissenschaft, Kunststoff, Technikgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Zeitgeschichte, Inflatable Architecture, Unternehmensgeschichte, Pneumatik
ISBN/ISSN/ISMN, DOI
- ISBN/ISSN/ISMN:
- 978-3-643-14988-6
Abstract
Kunststoffe sind, vielleicht mehr als andere Materialien, mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Roland Barthes verlieh 1957 in den Mythen des Alltags dem „ständige Erstaunen“ über dieses neue Material Ausdruck und verwies darauf, dass „[z]um ersten Mal […] das Künstliche aufs Gewöhnliche [zielt].“ Für den Massenmarkt diente Kunststoff als Material, das unbegrenzte Anwendungen versprach und Innovationen ermöglichte. Barthes’ Begegnung mit dem Material fand an einem öffentlichen Ort statt im Rahmen einer Ausstellung, die sich an potentielle Konsument*innen wandte. Kunststoff war da bereits Teil einer Konsumvision und damit einer Vorstellung von Zukunft. Kunststoff und Konsum wurden synonym. Trotz Barthes’ Erstaunen über eine „ideale Maschine“ waren die Produktionsbedingungen jedoch noch lange nicht standardisiert. Viele Konsumgüter wie Luftmatratzen, Regenmäntel, Bälle usw. wurden in Handarbeit hergestellt – was gerade kleinen und mittleren Unternehmen Geschäftsfelder eröffnete. Der vorliegende Beitrag untersucht mit einer interdisziplinären Forschungsmethodik (Soziologie, Unternehmensgeschichte, Kulturwissenschaften) beispielhaft das Familienunternehmen schulteswien, das seit 1951 besteht und heute in dritter Generation von Ursula Klein, die Enkelin des Gründers Hanns Schultes, geführt wird. Wir konzentrieren uns auf die Frage, wie soziale Dimensionen der Produktion, etwa familiäre Beziehungssysteme, geschlechtsspezifische Arbeitserfahrungen, zeitgebundene Diskurse oder Kooperationsnetzwerke, Innovationen in Technik, Design und Unternehmer*innentum beeinflussen. Für unsere Arbeit führten wir episodische Interviews mit Hanns Schultes, seinem Sohn Michael, dessen ehemalige Frau Sylvia Bernhard und deren gemeinsame Tochter Ursula Klein. 1982 übernahm Michael Schultes den Betrieb gegen eine Leibrente, die er seinem Vater bis zu seinem Tod zahlen sollte. Er führte schulteswien bis 2002, als eine Insolvenz unumgänglich wurde und mit dem Sanierungsverfahren Ursula Klein als Einzelunternehmerin übernahm. In ein- bis fünfstündigen Gesprächen erzählen sie ihre Versionen der Firmengeschichte und der Arbeit im Betrieb. Die Feldarbeit fand im Herbst/Winter 2013/14 statt, initiiert von der aktuellen Inhaberin als wissenschaftliche Aufarbeitung des über 60-jährigen Firmenbestehens. Die Autor*innen führten die Interviews im Tandem und auch die Gesprächspartner*innen wurden teilweise von anderen Personen (meist Verwandte) unterstützt und ergänzt. Das Forschungsinstrument fasste die oben dargestellten forschungsleitenden Themen als Gesprächsimpulse in einem Leitfaden zusammen und integrierte kognitive Karten sowie fotografischen Elizitationen . Der Oral History Ausrichtung des Forschungsdesigns folgend lag der Fokus der Erhebung auf den subjektiven Erzählungen anhand derer die Gesprächspartner*innen den Arbeitsprozessen, der Firmengeschichte, sich selbst und den Anderen Relevanz verleihen. Historische Informationen, Kontextinformationen, Einzelnachweise und Nachfragen zu Lücken und faktenbezogenen Widersprüchen in den Interviewtranskriptionen wurden durch Recherchen und in weiteren Gesprächen mit Ursula Klein und (ehemaligen) Geschäftspartner*innen ergänzt und validiert. https://books.google.at/books?id=z58_EAAAQBAJ&lpg=PP1&pg=PA81
Band, Seiten
69978-3-64--85