Über den Blick

Antonia Birnbaum
Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Philosophie
2026S, wissenschaftliches Seminar (SEW), 4.0 ECTS, 2.0 SemStd., LV-Nr. S05611

Beschreibung

Der Blick

 

Woher kommt der Blick, wie wird geschaut, was wird sichtbar gemacht? Jenseits der unmittelbaren Annahme, dass der Blick durch seine Repräsentation das Wirkliche wahrnimmt, zeigt sich der Blick in allerhand Intrigen verwickelt: In der Gliederung unseres „Ichs“, in der technischen Zusammensetzung von Wahrnehmung, in der Differenz von Schein und Wahrheit. Dieses Seminar befasst sich mit einigen der Verfahren, durch die der Blick zur Erfahrung wird.

 

Am Anfang war der Spiegel. Vorerst ist der Blick der « blinde Fleck » in dem, was gesehen wird. Dass der Blick ein Loch im Sichtbaren ist, wird ganz einfach an der Tatsache deutlich, dass das „Ich“ nirgends anders als im Draußen des Bildes überhaupt erst „spekulär“ entsteht und sich zur Schau stellt: in einem Spiegelbild. Meine eigene körperliche Einheit wird einzig durch die Sichtbarkeit eines Bildes produziert, das von keiner Ähnlichkeit mit einem wirklich Sichtbarem abgeleitet werden kann. So lautet eine erste Frage: Wie kann dieser « blinde Fleck » des Sehens zum Körperbild von demjenigen werden, der sieht? Jacques Lacan hat sich in seinem Text zum Spiegelstadium dieser Frage gewidmet: das motorische, bewegliche des zerstückelten Körpers gelangt zu seiner Einheit im Bilde, die ihm erstmals als Form, als imago begegnet. Also schaut das „Ich“ sich immer nur im Anderen als in sich selbst, und das Verhältnis zu dieser Verdoppelung innerviert das Schauen: Eifersucht, Narzissmus, Liebe bilden das Drama des Blicks.

 

Das Objekt und der Rahmen

Wenn der Blick wiederum im Bildlichen als das wirkt, was nicht gesehen wird, dann zeigt er sich auf der Seite der Objekte. Was wir sehen, schaut uns an. Walter Benjamin bemüht sich, das Blick-Objekt in seiner spezifisch urbanen Fassung zu begreifen. Für den Dichter Charles Baudelaire bestürmt uns im Städtischen „ein Tumult von Details“, die alle nach Aufmerksamkeit drängen, wie eine Menge, die vom Verlangen nach Gleichheit besessen ist; ihr Drang zersprengt den Rahmen. Der Philosoph findet diese Sprengkraft in der Technik der Kamera wieder: „Unsere Kneipen und Großstadtstraßen, unsere Büros und möblierten Zimmer, unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschließen. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so dass wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen. Unter der Großaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeitlupe die Bewegung in ihm. So wird es handgreiflich, dass es eine andere Natur ist, die zu der Kamera als die zum Auge spricht.“ In dieser maschinellen Spaltung kommt ein „optisches Unbewusstes“ zum Tragen: Der Blick stellt filmisch zur Schau, was das Auge verpasst hat.

 

Das Simulacrum

Für Plato gibt es Bilder die „wahr“ sind und welche die wahr zu sein „vorgeben“, deren „scheinbare“ Wahrheit mit den „wahren Bildern“ rivalisiert. Wie aber kann man sie differenzieren? Das wahre Bild (icon) richtet sich nach einem intelligiblen Modell, einer rational proportionierten Bestimmung des Sichtbaren, von dem es nur eine untergeordnete Kopie ist, ein Abbild. Das entstellte, dämonische Bild (eidolon) der Sophisten produziert den Schein dieser Intelligibilität, indem es das Modell umgeht, um den Blick des Zuschauers in dem Bild mit einzubeziehen. Eine Skulptur wird in der Höhe eines Tempels angebracht; in sich ist sie vollkommen proportioniert. Jedoch scheint für den Zuschauer, der unten steht, der Körper im Missverhältnis zum (kleineren) Kopf zu sein. Für Plato gilt es, die innere Kohärenz des Modells identisch abzubilden, ohne Rücksicht auf den äußeren Blick. Für die Sophisten gilt es, den äußeren „Schein“, den Pseudos dieser Kohärenz zu bilden, indem sie den Kopf größer als den Körper gestalten, also indem sie das Missverhältnis des Blickes in die Plastik selbst eintragen.

Im Paar Modell-Kopie repräsentiert die Kopie das Modell, zu dem ein Prinzip der Ähnlichkeit sie bindet. Die Simulacra (eidolon) dagegen stehen außerhalb dieser Logik: sie sind weder das Original noch das Abgeleitete, sondern das Abweichende, deren Ähnlichkeit mit der Kopie aus einer dämonischen Perversion ihres Prinzips herrührt.

Der Pseudos ist die ungeheure Potenz des Falschen. Er ist nicht ein schlechtes Abbild, sondern ein gefährlicher Rival, der das Verhältnis vom Original zur Kopie unterwandert und verstellt: die Potenz der Kunst. Und damit wären wir schon bei dem Dilemma Platons. Wie kann er je sicher sein, dass das, was er als wahres Modell nimmt, nicht selbst schon ein „Schein“ sei?

In diesem Seminar werden wir diese drei „Schauplätze“ des Blickes anhand einer Reihe von Texten und Bildern erkunden, aber auch die Umwege folgen, in denen der Wandel des Blickes uns verwickelt. Leitfaden ist das Kind, das ein Karussellpferd reitet und unseren Blick als Objekt abverlangt: „Guck mich an!“

LV-Anmeldung

Von 02. Februar 2026, 09:00 bis 10. April 2026, 09:01
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