PGS: Woran erkennt man Abstraktion?

Philipp Nolz
Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Philosophie
2024W, Projektgebundenes Seminar (PGS), 5.0 ECTS, 2.0 SemStd., LV-Nr. S05372

Beschreibung

Das Seminar wird von zwei Personen veranstaltet; daher unbedingt auch zum gleichnamigen PGS von Antonia Birnbaum anmelden! 
https://base.uni-ak.ac.at/courses/2024W/S05330/


Woran erkennt man Abstraktion?

 

Abstraktion ist eine äußerst tückische Angelegenheit. Sie meint die Realität, in die wir immanent verwickelt sind, die Materialitäten der kapitalistischen Gesellschaft, die Karl Marx als reale Abstraktionen bezeichnet. Geld, Arbeitskraft, Tausch, Verwertung gehören hierhin: jene Gegenständlichkeit anonymer Prozess, die für uns das Unmittelbare bildet. Sie meint zudem die Tätigkeit der modernen Wissenschaft: Galileos methodische Befragung der Natur setzt die geometrische und mathematische Sprache voraus; wissenschaftliche Gesetze haben keinen Gegenpart in der sinnlichen Natur, sondern entwerfen sich im Bruch des Realen mit jeder Phänomenalität. Weiter meint sie eine Notwendigkeit des Denkens selbst, die erst im Transzendentalen ihre moderne Bestimmung angenommen hat: das „Objekt“ des Wissens besitzt keine unabhängige Realität mehr, es hängt von einer subjektiv begründeten Synthesis seiner in sich abstrakten Elemente ab – Anschauung und Verstand, Wahrnehmung und Kategorien. Darauf folgt der Strukturalismus, der die Kombinatorik der Elemente jeder isolierten „Objekte“ vorzieht, das Wesen materieller Gegenstände in den Bereich rein differenzieller Bestimmungen verlegt.

Tückisch ist diese Angelegenheit unter mehreren Aspekten. Zum einen tendiert die ungeheuere Gewalt der kapitalistischen Abstraktionen dazu, die Sehnsucht nach einer fantasmatischen Konkretion, einer „wirklichen Wirklichkeit“ hervorzurufen, die sich in vielfache antinomische Formen überträgt: Nostalgien für eine umschreibbare Wirklichkeit, die ihren widersprüchlichen Zusammenhang mit dem anonymen Wissen verwerfen, sinnlich-unbegriffliche Abstraktion der Malerei, Enthüllungs- und Aufdeckungswünsche als Grundlage kritischer Haltung, faschistische Mobilisierungen vom Einheimischen, usw...

Diese fantasmatische Ebene gehört selbst zur realen Abstraktion auf die sie reagiert, und erfordert es, als solche begriffen zu werden. Abstraktion zu denken stellt so vor die Schwierigkeit, dass diese selbst nur in ihren widersprüchlichen Dimensionen erfasst werden kann. Diese sind verschiedentlich differenziert worden, von schlechter Abstraktion zur Konkretion des Abstrakten bis hin zur spekulativen Abstraktion. Derart ist Abstraktion also unwirklich und wirksam zugleich, verschränkt ideelle Form und materielle Kraft in wechselnden Gestalten, denen es nachzuspüren gilt.

Dieses PGS wird Abstraktion in all diesen Formen befragen, mit Rücksicht auf verschiedene Bereiche wie Literatur, Kunst, Philosophie, Psychoanalyse. Der Anstaz entspricht der folgenden Frage: wenn Abstraktion der Stoff unserer historischen Wirklichkeit ist, wie kann man die Abstraktion selbst dem kapitalistischen Zwang entziehen, ohne sich im Traum des Konkreten zu verlieren?

 

Kursliteratur:

 

Aristoteles: Poetik.

Peter Szondi (1956): Theorie des modernen Dramas. S. 9-73.

 

Karl Marx: Einleitung zu den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie von 1857. MEW 42, S. 15-46.

______: Das „Maschinenfragment“, 1859. MEW 42, Kapitel 6, S. 590-609.

 

Georg Lukacs (1934): Größe und Verfall des Expressionismus, in ders.: Essays über Realismus, S. 109-150.

Ernst Bloch (1937): Der Expressionismus, jetzt erblickt, in ders.: Erbschaft dieser Zeit, S. 255-263.

______ (1938): Diskussionen über Expressionismus, in ders.: Erbschaft dieser Zeit, S. 264-274.

 

Wilhelm Worringer (1908): Abstraktion und Einfühlung, 1. Theoretischer Teil, S. 1-64.

Wassily Kandinsky (1912): Über das Geistige in der Kunst.

 

Sigmund Freud (1925): Die Verneinung, in ders.: Psychologie des Unbewussten, 371-373.

______ (1915): Die Verdrängung, in ders.: Psychologie des Unbewussten, 103-118.

 

Jacques Lacan (1948): Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint, in ders.: Schriften I (1986), S. 61–70.

______ (1966): Über die Struktur als ein Einmischen einer Andersheit als Voraussetzung eines Subjekts, in ders.: Struktur. Andersheit. Subjektkonstitution (2015), S. 11-30.

 

 

Prüfungsmodalitäten

Abschlussarbeit im Umfang von 5 Seiten, jeweils nach Rücksprache mit den Lehrpersonen entweder als

1) Kommentar zu einem der im Kurs behandelten Texten, oder

2) Ausarbeitung einer in der Kurs besprochenen Themen;

 

 

Termine

16. Oktober 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20 (Vorbesprechung)
23. Oktober 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20
30. Oktober 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20
06. November 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20
13. November 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20
20. November 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20
27. November 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20
04. Dezember 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20
11. Dezember 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20
18. Dezember 2024, 10:00–13:00 Seminarraum 20
08. Jänner 2025, 10:00–13:00 Seminarraum 20
15. Jänner 2025, 10:00–13:00 Seminarraum 20

LV-Anmeldung

Von 26. August 2024, 00:00 bis 09. Oktober 2024, 00:00
Per Online Anmeldung

Kunst- und Kulturwissenschaften (Master): Projektgebundene Seminare: Projektgebundenes Seminar 1-3 568/001.01

Mitbelegung: nicht möglich

Besuch einzelner Lehrveranstaltungen: nicht möglich