Ein zwei Gedichte

Was ist ein Gedicht? Was ist das zweite?

In diesem Seminar geht es um Umriss, Geste und Einsamkeit des einzelnen Gedichts: wie ein Gedicht noch vor dem Lesen die Kontur von etwas Sprache ist, die beim Schreiben beginnt, sich auf der Seite abzuzeichnen; wie es eine Bewegung macht und neue Verhältnisse schafft zu allem anderen, was es nicht ist; wie es allein ist, solange es nicht unter eine Reihe anderer Gedichte tritt und mit ihnen eine größere Einheit (Zyklus, Serie, Buch ...) behauptet, aber auch in dieser Gesellschaft ein Stück weit allein bleibt. 

Wir bemessen ferner den Abstand des einzelnen Gedichts zu Werk und Projekt, zu gängigen Größen künstlerischer Produktion, die mit einer gewissen Menge an Planung, Arbeit und Ergebnis assoziiert werden. Was ist der Werkcharakter eines Gedichts? Ist es (auch wenn ein Gedicht später zu einem "großen Werk" werden kann) einfach zu schnell vorbei, um schon alles gewesen zu sein? Lässt sich dieser Abstand quantitativ – durch Häufung, Länge – verkürzen, oder leistet die Gedichtform qualitativ Widerstand, sich auf den Boden von Werk und Projekt zu stellen?

Ein zweites Gedicht tritt zum ersten Gedicht, das erst damit zum ersten wird. Es verspricht ein Weitergehen, das nicht eintreten muss.

Das Seminar arbeitet vor allem mit und an den Texten der Seminarteilnehmer*innen. Die Auseinandersetzung mit den skizzierten Fragen findet im eigenen Schreiben, in der Reflexion über das Geschriebene und in der Diskussion der Texte der anderen statt.