Dialektik - Antidialektik, Vor- und Nachbereitung der Tagung

Antonia Birnbaum
Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Philosophie
2024S, wissenschaftliches Seminar (SEW), 4.0 ECTS, 2.0 SemStd., LV-Nr. S05079

Beschreibung

Dialektik und Anti-Dialektik

Vor- und Nachbereitung der Tagung

Universität für Angewandte Kunst

Abteilung Philosophie

21./22. /23. März 2024

 

Vorbereitung am 11. März 14h30-16h30

Nachbereitung am 17. April 14h30-16h30

 

Die Vorbereitung versteht sich als eine Präsentation der Ansätze und des Anliegens der Tagung.

Die Nachbereitung beinhaltet eine Diskussion des Verlaufs, mit einem starken Bezug auf den Verhältnissen, die zwischen den verschiedenen Vorträgen zum Vorschein gekommen sind.

 

Konzeption: Antonia Birnbaum, Helmut Draxler

 

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Im Denken der Moderne stehen sich Dialektik und Anti-Dialektik zumeist diametral gegenüber. Dem jeweiligen Anspruch an Wahrheit, Kohärenz in der Argumentation und Stringenz in der ethisch-politischen Positionierung scheint man nur durch ein rigoroses Entweder - Oder nahekommen zu können. Während sich die Dialektik hierbei – im Durchgang durch Negation und Widerspruch - stets als der Königsweg zur Wahrheit stilisierte, will die Anti-Dialektik – in ihren existenzialphilosophischen, pragmatistischen oder auch monistischen Ausprägungen - gerade darin ein Problem sehen, insbesondere hinsichtlich der unterschiedlichen Voraussetzungen des dialektischen Denkens selbst. Der Anti-Dialektik ließ sich leicht eine Ausblendung von Widersprüchen und Negativität sowie eine Abhängigkeit von eindimensionalen, eben undialektischen Prozessbegriffen vorwerfen. Doch auch die Dialektik scheint, indem sie konstitutiv die Wahrheit verfehlt, gleichsam in logischer Konsequenz ihre Gegenposition immer wieder aufzurufen. Das heißt, Dialektik und Anti-Dialektik sind stärker miteinander verknüpft als es die je eigenen Rationale wahrhaben wollen. Die Dialektik wird durch ein anti-dialektisches Moment heimgesucht, das ihrer Vermittlung entgeht, während die Anti-Dialektik immer wieder ihre dialektische Vereinnahmung erleidet und doch loszuwerden trachtet. Wie wäre die Wechselseitigkeit dieser Verfehlungen, die Polarität von Dialektik und Anti-Dialektik zu denken? Dialektisch oder antidialektisch? Oder verlangt diese Polarität, die logischen, ontologischen und politischen Dimensionen des Denkens auf neue Art zu problematisieren? Genau das wird die entscheidende Frage unserer Tagung sein.

 

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Platonische Dialektik verändert die Haltung aller Fragen, indem sie die Diskurse der Dichter, der Politiker, der Handwerker an dem ausrichtet, was ihrer Weisheit fehlt. Die Suche nach dem, was der Weisheit fehlt, dialektisiert sie, orientiert sie am Wesen. Doch wird die dialektische Frage um die Wahrheit nie die Fragenden los, die dem Philosophen ähneln wie der Hund dem Wolf: die Sophisten. Diese, laut Plato, ignorieren das Sein und nehmen Bezug auf Kontingenzen, suchen nur zu überzeugen und dabei geldlichen Gewinn zu erwerben; derart pervertieren sie Politik, Ethik, und Pädagogik. Als Philosophen des Scheins produzieren sie einen Schein von Philosophie. Damit wird aber gleichsam auch die dialektische Frage: „Was ist das philosophische Leben?“ durch ihre eigene Verdoppelung heimgesucht. Einmal ist die Dialektik gezwungen, dem Nichtsein der sophistischen Intelligibilität ein Sein zu konzedieren, um sie überhaupt widerlegen zu können. Das Sein wäre nunmehr nicht eine Ontologie, welche durch die Sprache enthüllt wird, sondern ein Effekt, welcher der Diskurs selbst produziert. Ferner betrifft diese Verdoppelung die Orientierung selbst: ist die dialektische Umkehr, welche den Schein vom Wesen her betrachtet und auflöst, nicht selbst eine Funktion des Scheins? Der Sophist, Gaukler der Dialektik, macht die dialektische Haltung selbst zu einer Frage, die ihren Rahmen sprengt: „Wer ist er, der vorgibt die Wahrheit zu suchen?“. Beide Fragen, die wesentliche der Wahrheit, die sophistische des Scheins, verhalten sich zueinander wie Dialektik und Anti-Dialektik: im Bezug auf die Wahrheit und die innere Differenz des Scheins produzieren sie ständig Kurschlüsse und reichen diese an die Moderne weiter.

 

Die Hegelsche Dialektik entsteht in eine Auseinandersetzung mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts; diese sieht in der Religion ihren äußerlichen Feind, und nicht sich selbst im Anderen. Anstatt das Religiöse zu seiner Vernunft zu bringen, bekämpft sie das Unvernünftige an ihr. Für die Aufklärung gibt es entweder ein desillusioniertes Wissen oder die Illusion des Glaubens: dass es einen Glauben ohne Illusion geben könne, dass dieser Teil der Vernunft ist, entgeht ihrer Borniertheit und macht sie zur Rechthaberei. Die Hegelsche Dialektisierung der Aufklärung wiederum kehrt am Glauben das Negative seiner Momente hervor und bereitet so den Weg für eine begriffliche Differenz des Unendlichen zu sich selbst. Doch bleibt  dezidiert ein Rest: denn Glauben ohne Illusion ist eben nicht reduzierbar, lässt sich nicht in eine fortschreitende Bewegung zum absoluten Wissen einordnen. Glauben ohne Illusion erheischt nicht einen Vollzug, sondern das Risiko eines subjektiven Vertrauens, eine Entscheidung für seine eigene Kontingenz; diese verschuldet sich wiederum einem zu erfindenden ästhetischen und ethischen Stil, und nicht einer allgemeine Figur des historischen Wissens. Die Kierkegaardsche Absage an dem Privileg des Wissens in der Dialektik ist eine der modernen Anti-Dialektiken schlechthin; ihr Moment der Singularisierung, als Aufnahme des Ästhetischen und des Ethischen im Denken, führt bei Adorno, Deleuze, Lukács und Lacan zu einem intensiven Nachleben.

 

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Warum kann es heute relevant sein, nochmals die Schwierigkeiten der Dialektik zu untersuchen, was hat sie uns zu sagen? Die erste Hypothese ist folgende: dass Dialektik immer eine Anti-Dialektik hervorruft und von ihr getroffen wird, ist genau das, was sie für uns relevant macht. Kurz erinnert: Dialektik kann als Denkprozess verstanden werden, der sich aus seiner eigenen Bewegung erzeugt, welche die Ungetrenntheit des Wirklichen und des Denkens entdeckt und hervorbringt. Somit ist ihr Anspruch, das Wirkliche im Gedachten, und das Gedachte im Prozessualen des Denkens mit einzubeziehen: entweder, in der antiken Dialektik, um die Teilhabe der Intelligibilität am Sein wiederzufinden, oder, in der Moderne, um die Immanenz der widersprüchlichen Negativität an dem Sein zu vollziehen; so Plato und Hegel. Doch trifft dieser allumfassende Anspruch immer wieder auf etwas Widerspenstiges, das sich nicht reminiszieren oder subsumieren lässt, und das auf die Dialektik rückwirkt. Dialektik wird also immer von einer Anti-Dialektik heimgesucht. Die Äußerlichkeit, die Distanz und die Nähe von Dialektik und Anti-Dialektik kommt weder der einen noch der anderen zu. Genau diesen Bruch, gilt es hier im Blick zu bekommen, um erneut die Spanne zwischen Vermittlung und singulärer Kontingenz zu erkunden, an der das Begriffliche haftet.

 

Im Poststrukturalismus der 1970er-Jahre und danach herrscht die Anti-Dialektik vor und bezieht sich auf die Dimension des Ereignisses, während sie sich immer wieder mit der Dialektik auseinandersetzt. Die Distanz zur Dialektik trägt den Namen "Verhältnis des Nicht-Verhältnisses" und bezeichnet beispielsweise das Nicht-Verhältnis von Ontologie und Ereignis (Badiou), von Gleichheit und Ungleichheit (Rancière), das Unausführbare des Ereignisses (Deleuze), das Nicht-Verhältnis der Sexualität (Lacan). Weiter spaltet Dialektik und Anti-Dialektik das Verhältnis zu Marx, der einerseits im Sinne einer immanenten strukturellen Kausalität der materiellen Realität (Althusser) oder einer irreduziblen immanenten Möglichkeit der gänzlichen Transformation anstatt eines notwendigen Prozesses (Negri) gefasst, und anderseits als Erfinder einer symptomhaften Wahrheit, welche die Widersprüche des Kapitals spaltet, verstanden wird (Lacan, Badiou): Anti-Dialektik oder Dialektik, Spinoza oder Hegel? - das ist hier die Frage. In der modernen Dialektik selbst mischt sich das Anti-Dialektische in die dialektischen Prozesse mit ein, z. B. als die Logik der Unterbrechung, die der Subsumtion widerspricht, wie sie Hölderlin als tragischen Transport versteht und Benjamin sie im dialektischen Stillstand weiterdenkt; die Auflösung des Staates anstelle seiner Vermittlung, die Marx in der Kommune von 1871 entdeckt; oder auch die Verschmelzung von Negation der Gesellschaft und autonomer Selbstbehauptung, wie sie Adorno als Bedingung des Kunstwerks begreift.

 

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Dialektik wird von der Anti-Dialektik in die Krise gebracht, und umgekehrt. Doch in unserer Gegenwart meinen diese Krisen keinen endgültigen oder einmaligen Bruch mehr; sie wirken vielmehr als Bedingungen der Möglichkeit des Denkens, wenn auch in verschiedener Weise. Für die Dialektik kann die Annahme ihre Krise eine Dissoziation ihre eigenen Zielsetzungen bedeuten, mithin eine Abwendung und Umdeutung ihrer Negativität von ihren teleologischen und subsumierenden Tendenzen, die inzwischen nichts mehr sind als die homogenisierenden und zerstörerischen Prozeduren des Kapitals selbst. Und umgekehrt kann die Differenz der Singularität im Anti-Dialektischen sich eben paradoxerweise gerade dank einer dialektischen Negativität von dem Sog freimachen, der sie an eine Identitäre Politik rückbindet. Deshalb kann es nicht darum gehen, beide Denkfiguren zu verschmelzen oder eine davon zu verwerfen, sondern den Raum ihrer Konfrontation zu erkunden. Dieser krisenhafte Raum ist von Belang, insofern er dezidiert der Korrelation von Logik des Kapitals und Identitätsstrebungen entgegenwirkt. Ohne diese Konfrontationen verliert die Krise des Denkens jeden politischen Sinn. Es kommt in dieser Tagung darauf an, aus der Differenz der Positionen heraus zu denken und das Verhältnis dieses Nicht-Verhältnisses produktiv zu wenden.

Prüfungsmodalitäten

Die Prüfung besteht entweder:

In dem Protokollieren einer der Vorträge, das seine Ausführung und sein Anliegen wiedergibt. Ein Essay von 3 bis 5 Seiten.

In dem Herausarbeiten einer der Überschneidungen von Dialektik und Antidialektik, mit Berufung auf die gesamte Tagung. Ein Essay von 3 bis 5 Seiten.

 

Termine

11. März 2024, 14:30–16:30 Seminarraum 25
17. April 2024, 14:30–16:30 Seminarraum 25

LV-Anmeldung

Von 01. Februar 2024, 14:30 bis 24. März 2024, 16:30
Per Online Anmeldung

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: IT: Bachelorseminar Wissenschaftliche Praxis 067/003.85

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Seminar aus dem Bereich Kunst- und Kulturwissenschaften 067/003.25

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach tex (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 071/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dae (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 072/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 074/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: IT: Bachelorseminar Wissenschaftliche Praxis 074/003.85

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 074/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Seminar aus dem Bereich Kunst- und Kulturwissenschaften 074/003.25

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 074/003.80

Transformation Studies. Art x Science (Bachelor): Focus! Transformation Areas: Social Transformation 162/040.20

TransArts - Transdisziplinäre Kunst (Bachelor): Theoretische Grundlagen: Theoretische Grundlagen 180/003.01

Expanded Museum Studies (Master): Wahlfächer: Philosophie 537/080.18

Bühnengestaltung (2. Studienabschnitt): Kunsttheorie und Kulturwissenschaften: Philosophie 542/207.04

Medienkunst: Transmediale Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaft, Theorie und Geschichte : Philosophie 566/208.08

Medienkunst: Digitale Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaft, Theorie, Geschichte: Philosophie 567/208.08

Kunst- und Kulturwissenschaften (Master): Wahlbereich 1: Philosophie 568/005.07

Kunst- und Kulturwissenschaften (Master): Wahlbereich 2: Philosophie 568/006.07

Cross-Disciplinary Strategies (Master): Studienfelder 4-6: Studienfeld 4: Philosophie 569/022.04

Design: Kommunikationsdesign (2. Studienabschnitt): Methodische und theoretische Grundlagen: Geistes- und Kulturwissenschaften 577/203.02

Konservierung und Restaurierung (2. Studienabschnitt): Geisteswissenschaften: Kunst- und Kulturgeschichte 588/204.10

Bildende Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaftliche und forschende Praxis: Kunsttheorie, Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte, Philosophie 605/202.01

Bildende Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaftliche und forschende Praxis: frei wählbar aus wissenschaftliche und forschende Praxis 605/202.80

Design: Angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien (2. Studienabschnitt): Methodische und theoretische Grundlagen: Geistes- und Kulturwissenschaften 626/203.02

Cross-Disciplinary Strategies (Bachelor): Philosophie: Vertiefungs-/Anwendungsphase 700/003.20

Mitbelegung: möglich

Besuch einzelner Lehrveranstaltungen: möglich