Kunst- und kulturwissenschaftliches Kolloquium: Dialektik-Antidialektik

Antonia Birnbaum
Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Philosophie
2023W, Kolloquium (KOL), 4.0 ECTS, 1.0 SemStd., LV-Nr. S04807

Beschreibung

„Das Seminar findet im Co-Teaching mit Amanda Holmes  statt. Zur Teilnahme ist auch die Anmeldung bei beiden Base-Einträgen notwendig.“

 

 

 

Dieses Kolloquium wird die Frage der dialektischen Prozessualität des Denkens und der Rückwirkung in ihr von Anti-dialektiken stellen.

Es werden die Dialktik von Plato und Hegel vorgestellt, einige antidialektische Ansätze, und Referate können diesen Zusammenhang thematisieren.

Insgesamt ist das Kolloquium im engen Bezug mit der Tagung zu diesem Thema, die im März 2023 stattfindet.

Warum kann es heute relevant sein, nochmals die Schwierigkeiten der Dialektik zu untersuchen, was hat sie uns zu sagen? Die erste Hypothese ist folgende: dass Dialektik immer eine Anti-Dialektik hervorruft und von ihr getroffen wird, ist genau das, was sie für uns relevant macht. Kurz erinnert: Dialektik kann als Denkprozess verstanden werden, der sich aus seiner eigenen Bewegung erzeugt, welche die Ungetrenntheit des Wirklichen und des Denkens entdeckt und hervorbringt. Somit ist ihr Anspruch, das Wirkliche im Gedachten, und das Gedachte im Prozessualen des Denkens mit einzubeziehen: entweder, in der antiken Dialektik, um die Teilhabe der Intelligibilität am Sein wiederzufinden, oder, in der Moderne, um die Immanenz der widersprüchlichen Negativität an dem Sein zu vollziehen; so Plato und Hegel. Doch trifft dieser allumfassende Anspruch immer wieder auf etwas Widerspenstiges, das sich nicht reminiszieren oder subsumieren lässt, und das auf die Dialektik rückwirkt. Dialektik wird also immer von einer Anti-Dialektik heimgesucht. Die Äußerlichkeit, die Distanz und die Nähe von Dialektik und Anti-Dialektik kommt weder der einen noch der anderen zu. Genau diesen Bruch, gilt es hier im Blick zu bekommen, um erneut die Spanne zwischen Vermittlung und singulärer Kontingenz zu erkunden, an der das Begriffliche haftet.

 

Im Poststrukturalismus der 1970er-Jahre und danach herrscht die Anti-Dialektik vor und bezieht sich auf die Dimension des Ereignisses, während sie sich immer wieder mit der Dialektik auseinandersetzt. Die Distanz zur Dialektik trägt den Namen "Verhältnis des Nicht-Verhältnisses" und bezeichnet beispielsweise das Nicht-Verhältnis von Ontologie und Ereignis (Badiou), von Gleichheit und Ungleichheit (Rancière), das Unausführbare des Ereignisses (Deleuze), das Nicht-Verhältnis der Sexualität (Lacan). Weiter spaltet Dialektik und Anti-Dialektik das Verhältnis zu Marx, der einerseits im Sinne einer immanenten strukturellen Kausalität der materiellen Realität (Althusser) oder einer irreduziblen immanenten Möglichkeit der gänzlichen Transformation anstatt eines notwendigen Prozesses (Negri) gefasst, und anderseits als Erfinder einer symptomhaften Wahrheit, welche die Widersprüche des Kapitals spaltet, verstanden wird (Lacan, Badiou): Anti-Dialektik oder Dialektik, Spinoza oder Hegel? - das ist hier die Frage. In der modernen Dialektik selbst mischt sich das Anti-Dialektische in die dialektischen Prozesse mit ein, z. B. als die Logik der Unterbrechung, die der Subsumtion widerspricht, wie sie Hölderlin als tragischen Transport versteht und Benjamin sie im dialektischen Stillstand weiterdenkt; die Auflösung des Staates anstelle seiner Vermittlung, die Marx in der Kommune von 1871 entdeckt; oder auch die Verschmelzung von Negation der Gesellschaft und autonomer Selbstbehauptung, wie sie Adorno als Bedingung des Kunstwerks begreift.

 

Dialektik wird von der Anti-Dialektik in die Krise gebracht, und umgekehrt. Doch in unserer Gegenwart meinen diese Krisen keinen endgültigen oder einmaligen Bruch mehr; sie wirken vielmehr als Bedingungen der Möglichkeit des Denkens, wenn auch in verschiedener Weise. Für die Dialektik kann die Annahme ihre Krise eine Dissoziation ihre eigenen Zielsetzungen bedeuten, mithin eine Abwendung und Umdeutung ihrer Negativität von ihren teleologischen und subsumierenden Tendenzen, die inzwischen nichts mehr sind als die homogenisierenden und zerstörerischen Prozeduren des Kapitals selbst. Und umgekehrt kann die Differenz der Singularität im Anti-Dialektischen sich eben paradoxerweise gerade dank einer dialektischen Negativität von dem Sog freimachen, der sie an eine Identitäre Politik rückbindet. Deshalb kann es nicht darum gehen, beide Denkfiguren zu verschmelzen oder eine davon zu verwerfen, sondern den Raum ihrer Konfrontation zu erkunden. Dieser krisenhafte Raum ist von Belang, insofern er dezidiert der Korrelation von Logik des Kapitals und Identitätsstrebungen entgegenwirkt. Ohne diese Konfrontationen verliert die Krise des Denkens jeden politischen Sinn. Es kommt in diesem Duchgang der Spannungen von Dialektik und Antidialektik darauf an, aus der Differenz der Positionen heraus zu denken und das Verhältnis dieses Nicht-Verhältnisses produktiv zu wenden.

Termine

11. Oktober 2023, 14:30–17:30 Seminarraum 20 (Vorbesprechung)
25. Oktober 2023, 14:30–17:30 Seminarraum 20
08. November 2023, 14:30–17:30 Seminarraum 20
15. November 2023, 14:30–17:30 Seminarraum 20
22. November 2023, 14:30–17:30 Seminarraum 20
29. November 2023, 14:30–17:30 Seminarraum 20
17. Jänner 2024, 14:30–17:30 Seminarraum 20
24. Jänner 2024, 14:30–17:30 Seminarraum 23 , „Raumänderung“

LV-Anmeldung

Von 24. Juli 2023, 09:48 bis 15. November 2023, 23:55
Per Online Anmeldung

Kunst- und Kulturwissenschaften (Master): Kunst- und kulturwissenschaftliche Kolloquien: Kunst- und kulturwissenschaftliches Kolloquium 1-4 568/002.01

Mitbelegung: nicht möglich

Besuch einzelner Lehrveranstaltungen: nicht möglich