Ästhetik der Negation

Helmut Draxler
Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Kunsttheorie
2023S, Vorlesungen (VO), 2.0 ECTS, 2.0 SemStd., LV-Nr. S04325

Beschreibung

(Lehrveranstaltung in Zusammenarbeit mit Andreas Müller)

Die Frage ästhetischer Negativität betrifft nicht einfach mehr die Kraft, mit der sich eine ästhetische Setzung gegen die Konventionalität der sie umgebenden Kultur in Stellung bringen lässt; sie betrifft vielmehr die Frage, wie sie sich als solche überhaupt behaupten kann, wenn diese Kultur selbst nicht mehr unter dem Zeichen eines falschen, zu entlarvenden Scheins an Positivität steht. Die heutige diskursive, institutionelle, mediale und ökonomische Kultur scheint in ihren vielfach dominanten Formen längst alle subkulturellen Normen der Abweichung oder der Dissidenz verinnerlicht zu haben; sie hat den Gestus der Kritik habitualisiert und somit eine Konventionalität des Negativen ausgebildet, die selbst wiederum nur schwer zu adressieren bzw. zu negieren ist. Eine solche Kultur der Negativität hat sich, wurzelnd bereits im Denken der Transzendenz, der negativen Theologie und der gnostischen Weltverneinung – und weiter angefacht durch die Aneignung der negativen Zahlen und die daran geknüpften „negativen Größen“, wie sie Kant in die „Weltweisheit“ einführen wollte - zum eigentlich wahrheitstreibenden Moment der Moderne entwickelt. Die besonderen Formen einer Ästhetik der Negativität, wie sie für fast alle Bestimmungen modernen Kunst prägend geworden sind, wären mithin sowohl als Teil dieser Kultur als auch gegen diese gerichtet zu begreifen.

 

Die postmoderne Erfahrung seit den 1980er-Jahren kulminiert nun genau darin, den Zwiespalt und die intrinsische Zweideutigkeit von Positivität und Negativität zu denken und somit weder eine eindeutige Zuordnung von Phänomenen jedweder Art an eine der beiden Kategorien noch eine grundlegende Aufhebung von deren Differenz vornehmen zu können. Doch wie kann das Negative gerade in seiner jeweils punktuell historischen, systematischen oder politischen Positivität gedacht und aufrecht erhalten werden? Traditionelle Bestimmungen - ob sie nun als Beraubung oder als Mangel (so der vorkritische Kant) oder als eine Form radikaler Auslöschung: des Willens, des Denkens, des Seins (so Schopenhauer) gedacht werden – tendieren dazu, das Negative sich am Positiven abarbeiten und sich selbst möglichst verschwinden zu lassen; oder, wie bei Hegel, wo die Negation der Negation methodisches Programm ist, sie als unverzichtbaren Operator einer unbedingten Positivität zu verstehen.

 

Demgegenüber muss das Positive im Negativen expliziert werden, um als Negation „Kraft“ oder „Macht“ zu erwerben und zu bewahren. Es geht mithin darum, der List des Symbolischen bzw. des Diskurses entgegenzutreten in ihrer jeweiligen Tendenz das Negative abzuschaffen oder aufzuheben. Das Quantum Positivität soll vielmehr als ein irritierendes Moment im Negativen aufgefasst und in seinen logischen, ontologischen oder ethisch-wertbezogen Aspekten ebenso herausgearbeitet werden wie in seinen textlichen und bildlichen, musikalischen, filmischen oder performativen Einsätzen.

 

Vorlesung und Seminar werden versuchen, den Diskurs über ästhetische Negativität, wie er sich zwischen dem späten 19. Jahrhundert und den 1970er-Jahren entfaltet hat, an ausgewählten Beispielen zu rekonstruieren. Von hier aus sollen die unterschiedlichen weltanschaulichen Haltungen, die inhaltlichen Strategien und die künstlerischen Verfahren in ihren aktuellen Potenzialen untersucht werden.

 

Literatur:

Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1977.

Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2000.

Alain Badiou, Dritter Entwurf eines Manifest für den Affirmationismus, Berlin (Merve) 2007.

Karl-Heinz Bohrer, Ästhetische Negativität, München (Hanser) 2002.

Raya Dunayevskaya, Die Macht der Negativität: Schriften zur Philosophie der Revolution, Münster (Unrast) 2002.

Manny Farber, Negative Space: Manny Farber on the Movies, Boston (Da Capo Press) 1998.

William Franke, On the Universality of What Is Not: The Apophatic Turn in Critical Thinking, Notre Dame, IN (The University of Notre Dame Press) 2020. 

Jan Knobloch, Antonio Lucci (Hg.) Gegen das Leben, gegen die Welt, gegen mich selbst: Figuren der Negativität, Heidelberg (Universitätsverlag Winter) 2021.

Benjamin Noys, Persistence of the Negative. A Critique of Contemporary Continental Theory, Edinburgh (The University of Edinburgh Press) 2012.

John Roberts, „Negationen der Kunst. Avantgarde und Autonomie, Asozialität, Deflation und Erneuerung“, in: Lettre International Nr. 101, Sommer 2013, S. 79–85.

Kerstin Stakemeier, Pressetext zur Ausstellung von Merlin Carpenter, Galerie Neu, Berlin 2017, online: https://www.galerieneu.net/exhibition/merlin-carpenter-business-women

Harald Weinrich (Hg.), Poetik und Hermeneutik, Bd. 6, Positionen der Negativität, München (Fink) 1975.

Prüfungsmodalitäten

abschließendes Prüfungsgespräch

Termine

15. März 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 20
22. März 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 20
29. März 2023, 16:00–18:00 FLUX 1
19. April 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 20
26. April 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 20
03. Mai 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 20
10. Mai 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 20
17. Mai 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 8
24. Mai 2023, 16:00–18:00 FLUX 1
31. Mai 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 20
07. Juni 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 20
14. Juni 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 8
21. Juni 2023, 16:00–18:00 Seminarraum 22

LV-Anmeldung

Bis 08. März 2023, 17:00
Per Online Anmeldung

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: aus Kunsttheorie 067/003.20

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 074/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 074/003.80

TransArts - Transdisziplinäre Kunst (Bachelor): Theoretische Grundlagen: Theoretische Grundlagen 180/003.01

Expanded Museum Studies (Master): Wahlfächer: Kunsttheorie 537/080.12

Bühnengestaltung (1. Studienabschnitt): Kunsttheorie und Kulturwissenschaften: Kunsttheorie 542/107.03

Bühnengestaltung (2. Studienabschnitt): Kunsttheorie und Kulturwissenschaften: Kunsttheorie 542/207.03

Medienkunst: Transmediale Kunst (1. Studienabschnitt): Wissenschaftlich theoretische und historische Grundlagen: Kulturwissenschaften 566/108.13

Medienkunst: Transmediale Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaft, Theorie und Geschichte : Kunsttheorie 566/208.13

Medienkunst: Digitale Kunst (1. Studienabschnitt): Wissenschaftlich theoretische und historische Grundlagen: Kulturwissenschaften 567/108.13

Medienkunst: Digitale Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaft, Theorie, Geschichte: Kunsttheorie 567/208.13

Kunst- und Kulturwissenschaften (Master): Wahlbereich 1: Kunsttheorie 568/005.05

Kunst- und Kulturwissenschaften (Master): Wahlbereich 2: Kunsttheorie 568/006.05

Design: Grafik Design (2. Studienabschnitt): Theoretische Grundlagen: Geistes- und Kulturwissenschaften 576/203.02

Design: Mode (1. Studienabschnitt): Methodische und theoretische Grundlagen: Wahlfachpool methodische und theoretische Grundlagen 584/103.80

Konservierung und Restaurierung (2. Studienabschnitt): Geisteswissenschaften: Kunst- und Kulturgeschichte 588/204.10

Bildende Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaftliche und forschende Praxis: Kunsttheorie, Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte, Philosophie 605/202.01

Bildende Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaftliche und forschende Praxis: frei wählbar aus wissenschaftliche und forschende Praxis 605/202.80

Design: Angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien (2. Studienabschnitt): Methodische und theoretische Grundlagen: Geistes- und Kulturwissenschaften 626/203.02

Mitbelegung: möglich

Besuch einzelner Lehrveranstaltungen: möglich