Eine neue Art von Realität, höherwertig und besser. Glanzvoller und weitgehend fehlerfrei. Wäre das nicht toll? Tatsächlich ist das alles schon der Fall oder gerade dabei, Gestalt anzunehmen – uns allesamt einbindend und von innen her (in all unseren Ansinnen und Praktiken) durchdringend. Die „digitale Realität“, wie man diesen Komplex nennen könnte, ist seit langer Zeit im Werden, wobei sich ihr Umfang und ihre Variabilität ständig erweitern. Und sie ist weit davon entfernt, jemals fertig und vollendet zu sein – oder zu einem „hard fact“ zu gerinnen, den man von außen betrachten könnte.

Welche Beziehung unterhalten aktuelle Kunstpraktiken zu dieser neuen Art von Realität? Kann sich die gegenwärtige Kunst auf sinnfällige Weise mit der inneren Mechanik (und der ständigen Ausweitung) dieser Konstellation der Digitalität auseinandersetzen? Muss sich die Kunst darauf beschränken, eine bloße Verlängerung oder Wiederspiegelung dessen zu sein, was die Vielfalt algorithmischer Erfindungen für uns vorsieht? Oder ist das künstlerische Feld ein besonders geeignetes Spielfeld, um die Behauptungen und Vormachungen der neuen digitalen Regime zu hinterfragen, ja vielleicht sogar zu unterwandern?

Das Seminar widmet sich diesen komplexen Fragen, indem es folgende Charakteristika der digitalen Realität in den Fokus rückt: (1) die Dialektik von Vernetzung und Vereinzelung und damit zusammenhängend Ansätze von Vergemeinschaftung und zunehmender Privatisierung; (2) Projektionen von totaler Kontrolle im Gegensatz zu endloser Freiheit, speziell im Hinblick auf eine sich verändernde Gesellschaftlichkeit und politische Praxis; (3) neue Ansätze der Wertakkumulation versus sozial orientierte Feedback-Infrastrukturen; (4) die epistemische Grundlage der unbegrenzten Berechenbarkeit vs. Refugien des Unberechenbaren und Erratischen; (5) uneingeschränkte Wiederholung („immer mehr des immer Gleichen“) vs. radikale Disruption („move fast and break things“); (6) die Idee neuer Materialitäten im Gegensatz zu steigender Entmaterialisierung und Verflüchtigung des Physischen; (7) Aussichten eines digitalen Humanismus im Unterschied zu einem kritischen Posthumanismus; (8) umweltliche Implikationen und Verwüstung gegenüber dem Neuland einer „digitalen Ökologie“; und (9) die außer Kontrolle geratene Evolution des Anthropozäns vs. das Heraufdämmern eines radikal andersweltlichen „Novozäns“.

Untersucht werden soll so die Aussicht einer progressiven Versöhnung mit bzw. mittels der digitalen Realität – im Gegensatz zum Schreckgespenst einer drohenden elektronischen Apokalypse. Tor zum Himmel oder Weg ins Nichts? Gehen wir der Sache nach mit gemeinsam entwickelten Ansätzen – neu und nach Möglichkeit verbessert.

Referat bzw. schriftliche Fassung