Intrige, Bespitzelung, Denunzierung im Gesellschafts- und Medienwandel

Hubert Christian Ehalt
Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Kulturwissenschaften
2021S, wissenschaftliches Seminar (SEW), 4.0 ECTS, 2.0 SemStd., LV-Nr. S51213

Beschreibung

Im Strukturwandel der Öffentlichkeit haben demokratische Handlungsstrukturen und Repräsentationsformen grosso modo an Prestige und realer Bedeutung gewonnen. Die Welt wurde in einem Prozess der Rationalisierung und Verwissenschaftlichung erklärt, entzaubert, ressourcenmäßig ausgebeutet und entritualisiert. Das bessere Argument im Dienst des größeren ökonomischen Nutzens hat die Denk- und Kommunikationsordnungen immer klarer, übersichtlicher, scheinbar eindeutiger – ohne Sicht auf die Komplexität des Handelns - gemacht. Die hierarchischen Kommunikationsformen der vormodernen Feudalgesellschaften, die vor allem die großen sozialen Abstände zwischen den handelnden Personen ausdrücken sollten, mussten im Hinblick auf die beiden neuen Hauptkategorien des gesellschaftlichen Handelns – Arbeit und Kapital – ökonomisch rational, leichter formalisierbar, kulturunabhängiger sein. Die Beziehungen mussten berechenbarer, damit tendenziell auch friedlicher werden. Zeremoniell, Diplomatie und Intrige waren Ausdruck dieser Pazifizierung. Es folgten Buchhaltung, Kalkulation, die Zurückdrängung von Kriterien außerhalb der ökonomischen Rationalität - kurz Management.

Die Machtunterschiede zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten wurden seit der Aufklärung im Prozess der Zivilisation kleiner. Patriarchalismus, autoritäres Verhalten, Obrigkeitsdenken wurden seither zurückgedrängt. Menschenrechte, zivilgesellschaftliche Ansprüche, zuletzt die Normen und Normierungen der political correctness haben neue Ansprüche auf Achtung und Wertschätzung bei den Individuen entstehen lassen. Ein Bedürfnis nach Anerkennung und ein Bewusstsein von Gleichberechtigung sind herausragende Gefühlslagen der Individuen in der Befindlichkeit der westlichen Welt der Gegenwart.

Der Bedarf an Kommunikationsweisen, die Chancen für Vorteile im aktuellen Handeln ermöglichen, aber nicht den Kriterien von Fairness und der Habermas'schen Diskursethik entsprechen, ist, wie die historischen Befunde zeigen, auch in den postfeudalen kapitalistischen und neoliberal-postmodernen Gesellschaften groß.

Thema des Seminars ist die historisch-anthropologische Analyse von Verhaltensweisen und Verhaltensregeln, die mit Begriffen wie Intrige, Verleumdung, Rufschädigung, Beleidigung, Degradierung, Diffamierung, Denunzierung und Vernaderung angesprochen werden. Es geht um Kommunikationsmittel im Spannungsfeld von alltäglich pragmatischen Verständigungen, wissenschaftlich-analytisch-reflexive Formen einer „herrschaftsfreien Kommunikation“, Prestige und Distanzierungshandlungen als Machtmittel.

Intrige, Bespitzelung, Verleumdung, Denunzierung entfalten sich in Autokratien und Diktaturen – gleich welcher Couleur – besonders dort, wo es nur eine Wahrheit geben darf und soll und andere Meinungen verboten sind. Alle Denk- und Handlungsweisen, die einen engen, formalen, streng normativen Wahrheitsbegriff haben, laden gleichsam zu dessen Kontrolle, zu Bespitzelung und Denunzierung der Übertreter*innen und Skeptiker*innen ein.

Im Rahmen des Seminars wird die Gesellschaftsgeschichte des Phänomens (schwerpunktmäßig vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart) im Hinblick auf ihre Bedeutungen als Macht- und Herrschaftsmittel für Studierende der Universität Wien und der Universität für angewandte Kunst Wien kultur- und medienwissenschaftlich thematisiert.

Prüfungsmodalitäten

Referat eines themenbezogenen Buches (Thesenblatt 3.000 - 4.000 Zeichen)

aktive Teilnahme an den Diskussionen, die im Vordergrund der gemeinsamen Arbeit an dem Thema stehen

Seminararbeit zu einem Thema, das mit dem Buchreferat zu tun haben kann, aber nicht zu tun haben muss (ca. 25.000 Zeichen)

Präsentation und kritische Beurteilung eines Textes aus dem Bereich der Fachliteratur zum Thema; Auseinandersetzung mit den Texten der Kolleg*innen im Seminar
60 % eigene Präsentationen
40 % aktive Mitarbeit an den Plenardiskussionen

Anmerkungen

Bedingt durch die COVID-19-Pandemie können der konkrete Ablauf und die Termine der Lehrveranstaltung gegenwärtig noch nicht angegeben werden, geplant ist eine Konkretisierung des Terminplanes bis zum Beginn des Sommersemesters, 1.3.2021. Bis dahin stehen die Ablaufmodalitäten (base Angewandte, Distance-Learning, Videokonferenzen) fest.

Termine

17. März 2021, 17:00–19:00

LV-Anmeldung

Per Online Anmeldung

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach tex (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 071/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dae (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 072/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 074/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 074/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 074/003.80

TransArts - Transdisziplinäre Kunst (Bachelor): Theoretische Grundlagen: Theoretische Grundlagen 180/003.01

Medienkunst: Transmediale Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaft, Theorie und Geschichte : Kulturwissenschaften 566/208.15

Medienkunst: Digitale Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaft, Theorie, Geschichte: Kulturwissenschaften 567/208.15

Bildende Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaftliche und forschende Praxis: Kunsttheorie, Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte, Philosophie 605/202.01

Mitbelegung: möglich

Besuch einzelner Lehrveranstaltungen: möglich