Digitale Kulturen

Ramón Reichert
Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Kulturwissenschaften
2020S, wissenschaftliches Seminar (SEW), 4.0 ECTS, 2.0 SemStd., LV-Nr. S03240

Beschreibung

In unserem Seminar, das ich seit 16.3. in distance learning anbiete, beschäftigen wir uns grundlegend mit den kulturtheoretischen, genealogischen und medienreflexiven Voraussetzungen digitaler Kulturen. Ein Schwerpunkt unserer Lehrveranstaltung ist im Sommersemester der Ästhetik, Theorie und der Kulturgeschichte digitaler Spiele gewidmet.

Einführend setzen wir uns in Textlektüren und Gruppenarbeiten mit der Philosophie des Spielens (Kant, Schiller, Spencer, Nietzsche, Freud, Gadamer u.a.), mit der Anthropologie der Spiele (Huizinga, Callois, Bateson, Goffman u.a.) und mit dem Design digitaler Spiele-Enviroments auseinander (Murray, Juul, Manovich, Ryan, Aarseth, Bogost u.a.). In weiterer Folge beschäftigen wir uns zeitdiagnostisch und machtkritisch mit dem aktuellen Stellenwert des Spielens in der Gegenwartsgesellschaft und beleuchten dabei die kulturellen Dimensionen und Forschungs- und Analyseperspektiven des zeitdiagnostischen Schlagworts „Gamification“.

Zahlreiche Theoretiker schreiben dem digitalen Spiel einen zentralen Stellenwert in postmodernen Gesellschaftsstrukturen zu. Diesem neuen Protagonisten der Gegenwartsgesellschaft verleiht der niederländische Medientheoretiker Joost Raessens den Status eines „Homo Ludens 2.0“ und macht darauf aufmerksam, dass weite Bereiche unserer Alltagskultur mit spielerischen Elementen angereichert sind. In diesem Zusammenhang verweisen Kritiker der Gamification wie etwa Ian Bogost auf die autoritären Strukturen spielerischer Enviroments und persuasiver Interaktion und machen die strategischen Zusammenhänge zwischen technischer Infrastruktur, Datenakkumulation und ökonomischer Verwertbarkeit sichtbar. Die Vision einer informatisierten Gesellschaft, in der smarte Alltagsgegenstände mit Sensorik ausgestattet sind und sich als lernende Maschinen im «Internet der Dinge» vernetzen, beschäftigt nicht nur die internationale Forschung und Entwicklung; auch die öffentliche Diskussion setzt sich verstärkt mit dem Ludischen der digitalen Gegenwartsgesellschaft auseinander. Ausgehend von diesem Befund analysieren wir entlang ausgewählter Grundlagentexte die (oft als funktionalistisch entworfene) Gamifizierung von digitalen Nutzungskulturen.

Theoretischer Bezugspunkt der Lehrveranstaltung sind neben den primär relevanten medien-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien zu Digital Literacy und Games Studies die Debatten, die um das Schlagwort Posthumanismus geführt werden und die maßgeblichen Theorien zur Materialität technisch-medialer Infrastrukturen und Agentensysteme.

Die im Zusammenhang mit der Gamifizierung der digitalen Lebenswelt viel diskutierten Semantiken von Self-Tracking, Lifelogging oder Mobile Computing spannen einen weiten interpretatorischen Bogen und meinen damit sowohl individualisierte, sozial geteilte, als auch automatisierte Aufzeichnungen, Archivierungen und Ausdeutungen von selbst- und fremddokumentierten Lebensaktivitäten. Im Seminar thematisieren wir sowohl theoriestrategische Modellentwicklungen als auch anwendungsorientierte Spielekulturen. Konkret beschäftigen wir uns mit den technisch-medialen Enviroments numerischer Körpervermessungen (Gadgets), den Kulturtechniken der bildgebenden Darstellung von Körpern (Dashboards) und den sozial geteilten Gesundheits- und Sportdiskursen (Social Net).

Für die Vor- und Nachbereitung der Lehrveranstaltung werden unterschiedliche Lehr- und Lernmaterialien auf Lernplattformen implementiert. Die Lehrmaterialien können im Anschluss weiter ausgearbeitet werden und umfassen folgende Formate: Computerlabor, Wikis, Blogs, Social Networks, Podcasts, Vidcasts, Open Source. Im Computerlabor können die Studierenden Aufgabenstellungen erarbeiten und Informationen recherchieren, die anschließend mit Hilfe eines Smartboards im Wiki-System gezeigt werden können, sodass alle Kursteilnehmer sie sehen. Durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Perspektiven auf eine Thematik kann auf der inhaltlichen Ebene eine dynamische Verständnistiefe mit dem Forschungsgegenstand eröffnet werden. Die Studierenden können hier die Fähigkeit erlernen, ihren eigenen Standpunkt argumentativ zu rechtfertigen. Wenn sie die eigene Sichtweise gegenüber anderen Textversionen durchsetzen müssen, dann ist eine genaue Kenntnis des Sachverhalts nötig. Sie müssen sich mit Verbesserungsvorschlägen und Kritik auseinandersetzen und können Kritikfähigkeit entwickeln. Die Bereitstellung und Verfügbarkeit von digital vernetzten Lehr- und Lernmaterialien, die kollaborativ erarbeitet werden können, fördert nicht nur kollektive Wissensprozesse, sondern kann auch die Wissenskommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden verbessern.

 

Prüfungsmodalitäten

Aufgrund der aktuellen Situation der Corona-Krise wurde die Lehrveranstaltung "Digitale Kulturen" seit 16. März 2020 auf distance learning umgestellt. Die Studierenden erhalten persönlich von mir ein wöchentliches Workpackage, das sie mit einer Lesekarte von 1-2 Seiten erarbeiten können. Die gesammelten Lesekarten bilden den Leistungsnachweis für die gesamte Lehrveranstaltung. Die in die Lesekarten investierte Zeit entspricht in etwa der Präsenz in der Lehrveranstaltung (ca. 2 Stunden). Die Lehrveranstaltung kann wie geplant Ende Juni abgeschlossen werden.

Seither wurden 3 Workpackages entwickelt, die von den Studierenden zu Hause bearbeitet und an den Lehrveranstaltungsleiter per Email retourniert wurden (ramon.reichert@uni-ak.ac.at).  Alle Studierenden erhalten von mir persönlich ein wöchentliches Feedback der von ihnen erstellten Zusammenfassungen und Rechercheergebnisse. Zusätzlich werden an alle Studierenden jede Woche zum regulären Veranstaltungstermin (Montag) Materialien übermittelt, d.h. konkret: Powerpointfolien zum Lehrinhalt, Literatur, weiterführende Links. 

Die Studierenden können mich persönlich jederzeit telefonisch (0699 171 88 401) oder per Skype erreichen, um mit mir gemeinsam offene Fragen zur Erarbeitung der Lehrinhalte zu besprechen.

Anmerkungen

Das Ziel der Lehrveranstaltung ist die Vermittlung von Strukturwissen, das von den Studierenden in anwendungsorientierten Erkundungsfeldern der Gamekultur selbständig und kreativ weiter entwickelt werden kann. Die Lehrveranstaltung fokussiert eine inhaltlich umfassende Qualifizierung von Studierenden, die sich mit der Kultur, Ästhetik und Technologie digitaler Spielewelten sowohl wissenschaftlich als auch mediengestalterisch auseinander setzen wollen.

Literatur: Johan Huizinga: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Hamburg 1994; Joost Raessens: Homo Ludens 2.0. The Ludic Turn in Media Theory, Utrecht 2012; Ian Bogost: Persuasive Games. The Expressive Power of Videogames, Cambridge, Mass. 2007; Janet H. Murray: Hamlet on the Holodeck: The Future of Narrative in Cyberspace, Cambridge, Mass. 2000; Deborah Lupton: Self-Tracking Modes: Reflexive Self-Monitoring and Data Practices, Canberra 2014; Jennifer R. Whitson: Gaming the Quantified Self, in: Surveillance and Society Nr. 11, 2013, 163–176; Sebastian Deterding u.a.: From game design elements to gamefulness. Defining ‹gamification›, in: Proceedings of the 15th International Academic MindTrek Conference: Envisioning Future Media Environments, New York 2011, 9–15; Ramón Reichert: Digitale Selbstvermessung. Verdatung und soziale Kontrolle, in: ZfM – Zeitschrift für Medienwissenschaft 2/2015, S. 66-78; Ramón Reichert/Annika Richterich: Introduction ‘Digital Materialism’“, in: „Digital Culture & Society“, 1/2015, S. 7-22; Whitson, Jennifer R.: „Gaming the Quantified Self”, in: Surveillance and Society 11/2013, S. 163-176; Gabriele Klein: BilderWelten – Körperformen. Körperpraktiken in Mediengesellschaften, in: Tanja Thomas (Hg.): Medienkultur und soziales Handeln, Wiesbaden 2008, 209–217; Matthias Bauer/ Christoph Ernst: Diagrammatik. Einführung in ein kultur- und medienwissenschaftliches Forschungsfeld. Bielefeld 2010; Horst Bredekamp/ Gabriele Werner/ Birgit Schneider (Hg.): Diagramme und bildtextile Ordnungen. Berlin: Akademie-Verlag 2005. (Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik Bd. 3,1); Deleuze, Gilles: Foucault. Frankfurt/M. 1992; Gehring, Petra: Paradigma einer Methode. Der Begriff des Diagramms im Strukturdenken von M. Foucault und M. Serres. In: Petra Gehring et al. (Hg.): Diagrammatik und Philosophie. Akten des 1. Interdisziplinären Kolloquiums der Forschungsgruppe Philosophische Diagrammatik. Amsterdam 1992, 89-105; Leeb, Susanne (Hg.): Materialität der Diagramme. Kunst und Theorie. Berlin 2012; Rustemeyer, Dirk: Diagramme. Dissonante Resonanzen: Kunstsemiotik als Kulturtheorie. Weilerswist 2009; Schmidt-Burkhardt, Astrit: Die Kunst der Diagrammatik. Perspektiven eines neuen bildwissenschaftlichen Paradigmas. Bielefeld 2012.

Schlagwörter

Digitale Medien, Digitale Kultur, Film, Video, Visual, Fotografie, Kunst im Internet, Medienkunst, Elekronische Medien

Termine

02. März 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
09. März 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
16. März 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
23. März 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
30. März 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
20. April 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
27. April 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
04. Mai 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
11. Mai 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
18. Mai 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
25. Mai 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
08. Juni 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
15. Juni 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8
22. Juni 2020, 15:30–17:00 Seminarraum 8

LV-Anmeldung

Von 03. Februar 2020, 16:55 bis 30. März 2020, 16:55
Per Online Anmeldung
Per E-Mail: ramon.reichert@univie.ac.at
Per Telefon: 004369917188401

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Seminar aus dem Bereich Kunst- und Kulturwissenschaften 067/003.25

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach tex (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 071/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dae (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 072/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 074/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE 074/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Seminar aus dem Bereich Kunst- und Kulturwissenschaften 074/003.25

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Erweiterungsstudium): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis 074/003.80

TransArts - Transdisziplinäre Kunst (Bachelor): Theoretische Grundlagen: Theoretische Grundlagen 180/003.01

Expanded Museum Studies (Master): Wahlfächer: Kulturwissenschaften 537/080.14

Bühnengestaltung (2. Studienabschnitt): Kunsttheorie und Kulturwissenschaften: Kulturwissenschaften 542/207.02

Medienkunst: Transmediale Kunst (1. Studienabschnitt): Wissenschaftlich theoretische und historische Grundlagen: Kulturwissenschaften 566/108.13

Medienkunst: Transmediale Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaft, Theorie und Geschichte : Kulturwissenschaften 566/208.15

Medienkunst: Digitale Kunst (1. Studienabschnitt): Wissenschaftlich theoretische und historische Grundlagen: Kulturwissenschaften 567/108.13

Medienkunst: Digitale Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaft, Theorie, Geschichte: Kulturwissenschaften 567/208.15

Kunst- und Kulturwissenschaften (Master): Wahlbereich 1: Kulturwissenschaften 568/005.01

Kunst- und Kulturwissenschaften (Master): Wahlbereich 2: Kulturwissenschaften 568/006.01

Design: Grafik Design (2. Studienabschnitt): Theoretische Grundlagen: Geistes- und Kulturwissenschaften 576/203.02

Design: Mode (1. Studienabschnitt): Methodische und theoretische Grundlagen: Wahlfachpool methodische und theoretische Grundlagen 584/103.80

Bildende Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaftliche und forschende Praxis: Kunsttheorie, Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte, Philosophie 605/202.01

Bildende Kunst (2. Studienabschnitt): Wissenschaftliche und forschende Praxis: frei wählbar aus wissenschaftliche und forschende Praxis 605/202.80

Design: Angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien (2. Studienabschnitt): Methodische und theoretische Grundlagen: Geistes- und Kulturwissenschaften 626/203.02

Mitbelegung: möglich

Besuch einzelner Lehrveranstaltungen: möglich