I, too, dislike it

Niklas Lichti
Institut für Kunst und Gesellschaft, Kunst- und Wissenstransfer
2017W, Seminar (SE), 2.0 SemStd., LV-Nr. S01954

Beschreibung

„I, too, dislike it“ beginnt Marianne Moores Gedicht Poetry von 1919, „(…)Reading it, however, with a perfect contempt for it, one / discovers in / it after all, a place for the genuine…“ Nahezu ein Jahrhundert später erweitert der Dichter Ben Lerner in seinem Essay The Hatred of Poetry dieses scheinbare Paradox zu einer Theorie der (Un)möglichkeit von Dichtung. Im Uneingelösten, so Lerner, formuliert sich eine Erfahrung dessen was Poetry zu ermöglichen verspricht. Das notwendige Scheitern der Dichtung ergibt sich aus ihrem Anspruch zur selben Zeit radikale Individualität auszudrücken und diese auch allgemeingültig zu vermitteln, aus der Erwartung als Emanation von Subjektivität zu bestehen und dabei gemeinschaftsbildend soziale Ungleichheit zu überkommen. Ein Vorhaben, welches sich aus zwei scheinbar widersprüchlichen Emanzipationsvorstellungen speist: Der Forderung nach Selbstverwirklichung und dem Kampf um soziale Gerechtigkeit. Historisch aber haben sich diese Kritikmodelle erst durch die ökonomischen Deregulierungsmaßnahmen des späten 20. Jahrhundert zu Antagonismen entwickelt. Eine Entwicklung, welche Luc Boltanski und Ève Chiapello Mitte der 1990er Jahre als neuen Geist des Kapitalismus beschrieben haben. Der gegenwärtige Kapitalismus werde im hohen Maße von der sogenannten Künstlerkritik, mit ihrer zentralen Forderung nach Autonomie und Selbstbestimmung, geprägt und ersetze zu weiten Teilen eine auf Gleichheitsforderungen aufbauende Sozialkritik. Der neue Geist des Kapitalismus hat eine gesellschaftliche Ordnung hervorgebracht, die sich drastisch auch als ein Regime der Eigenverantwortung beschreiben ließe. Eine Ordnung innerhalb derer zunehmend die Möglichkeiten der Kritik erodieren und jegliches Scheitern dem Individuum zugeschrieben wird. Für das Subjekt ergibt sich daraus eine bedrückende Dynamik der Selbstverfolgung, permanenter Arbeit an der eigenen Optimierung und sozialem Distinktionsdruck.
Das Paradox der Dichtung - die gleichzeitige Forderung nach Universalität und Eigensinn - führt Ben Lerner zu einer Ablehnung, welche durch Negation Möglichkeiten und Alternativen (in der Kunst und damit im Leben) hervorbringt. Dem gegenwärtigen politischen Subjekt hingegen erscheinen Alternativen zum Neoliberalismus zunehmend unvorstellbar und die jüngsten politischen Entwicklungen haben die Möglichkeiten von Kritik und Diskurs zusätzlich untergraben, indem sie eine Kultur des post-faktischen befördern. Dass unter diesen Bedingungen hate speech im Internet immer mehr Raum einnimmt und Kritik häufig mit rant & resentment verwechselt wird, erscheint da nur als eine weitere Eskalationsstufe spätkapitalistischer Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die Jarett Kobek in seinem Buch I hate the internet seinerseits in einem epischen rant beschreibt:  
„The people on Twitter were furious. Adeline couldn‘t accustom herself to the anger.
They were outraged about sport figures.
They were outraged about politicians.
They were outraged about injustice.
They were outraged about world events in countries thousands of miles away with complex and impenetrable political systems.
They were outraged about comic books.
They were outraged about the privilege of others.
They were outraged about criminal cases.
They were outraged about poor people.
They were outraged about rich people.
They were outraged about the death of the middle class.
They were outraged about everything.
And no one would stop tweeting about television.“

Prüfungsmodalitäten

Referat und Mitarbeit an einer gemeinsamen Publikation

Anmerkungen

Literaturliste und Texte werden über die ownCloud bereitgestellt und beim ersten Termin vorgestellt

Schlagwörter

Literatur, Kritik, Zeitschrift, Text

Termine

09. Oktober 2017, 10:15–13:30 Seminarraum 11
23. Oktober 2017, 10:15–13:30 Seminarraum 11
13. November 2017, 10:15–13:30 Seminarraum 11
20. November 2017, 10:15–13:30 Seminarraum 11
04. Dezember 2017, 10:15–13:30 Seminarraum 11
18. Dezember 2017, 10:15–13:30 Seminarraum 11
08. Jänner 2018, 10:15–13:30 Seminarraum 11
22. Jänner 2018, 10:15–13:30 Seminarraum 11

LV-Anmeldung

Bis 02. Oktober 2017, 12:00
Per E-Mail: niklas.lichti@uni-ak.ac.at

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis (4.0 ECTS) 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE (4.0 ECTS) 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach tex (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE (4.0 ECTS) 071/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dae (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE (4.0 ECTS) 072/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis (4.0 ECTS) 074/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dex (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE (4.0 ECTS) 074/003.80

TransArts - Transdisziplinäre Kunst (Bachelor): Theoretische Grundlagen: Theoretische Grundlagen (4.0 ECTS) 180/003.01

Mitbelegung: möglich

Besuch einzelner Lehrveranstaltungen: möglich