Die Mobilisierung der Bilder. Eine Philosophie der flämischen Malerei

Helmut Draxler
Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Kunsttheorie
2016W, Seminar (SE), 2.0 SemStd., LV-Nr. S01630

Beschreibung

Moderne Kunst wird – in ihrer historischen Tiefenperspektive – zumeist in der Nachfolge der holländischen Malerei gesehen. Hier lässt sich die weitgehende Autonomisierung des Gemäldes, die Säkularisierung der Bildgegenstände und eine konsequente Individualisierung des künstlerischen Ausdrucks beobachten. Die korporatistischen Formen des bürgerlichen Zusammenlebens werden ebenso Thema wie ein nationales Ethos die Authentizität etwa der Landschaftsdarstellungen verbürgt; an Stelle der Modulation und Variation klassischer Formensprachen kommt es zu Neuerfindungen jenseits der Tradition; und die leeren Kirchen des Calvinismus lassen sich – zum eigenen Bildthema geworden – als Ausgangspunkt moderner Abstraktion lesen. Im Vergleich hierzu kann die flämische Malerei, die sich nach der Rückeroberung Antwerpens durch die Habsburger im Jahr 1585 ausbildet, nur als Inbegriff der Reaktion verstanden werden. Als Kunst der Fürstendiener und der gegenreformatorischen Propaganda scheint sie modernitätstheoretisch keiner Betrachtung wert. Und doch lassen sich gerade hier spezifische Bildstrategien festmachen, die erst in einer, auf die Aspekte des Films, der Pop- und Medienkultur erweiterten Perspektive moderner Kunst Sinn ergeben. Gegenüber der analytischen Grundeinstellung holländischer Malerei sind es vor allem Momente der Synthetisierung, die im Flämischen zum Tragen kommen: Stilsynthesen ebenso wie Produktionssynthesen – die Koproduktionen verschiedener Spezialisten – oder die Präsentationssynthesen der Galeriebilder. Methoden der Montage, der Bild-Rhetorik und der Effekt-Ästhetik mobilisieren die Bilder als Mittel einer Durchdringung sozialer, politischer, kultureller und religiöser Formen. Die Antwerpener Künstler-Werkstätten entwickeln sich zu hochspezialisierten Manufaktur-Betrieben, in denen die besonderen Abhängigkeitsverhältnisse von Markt und von Auftraggebern reflektiert und durchgearbeitet werden. Mit Recht kann man von der Geburt einer spezifisch modernen Heteronomie-Ästhetik sprechen. Gleichzeitig besitzt die flämische Malerei eine höchst eigene philosophische Dimension. Gegenüber der Insistenz der Holländer auf Autonomie und Immanenz, Authentizität, Originalität und Wahrheit tritt hier die Malerei selbst als Investment einer Korrelation auf. Sie zeigt sich in ihrer strukturellen Ambivalenz zwischen Transzendenz und Immanenz, Triumph und Opfer, Wahrheit und Lüge, zwischen realer Präsenz und repräsentativem Zeichen, zwischen dem sozialen „Fleisch“ und einer animalisch gefassten Humanität.

Vorlesung wie Seminar versuchen, Werke der flämischen Malerei aus sozial- wie kunsthistorischen Blickwinkeln zu beleuchten und sie gleichzeitig als philosophische und politisch-theologische Manifestationen zu behaupten.

Literatur:
Antwerp. History of a Metropolis. 16th – 17th Century. Ausstellungskatalog Antwerpen 1993Peter van den Brink (Hg.), Brueghel Enterprises, Ausstellungskatalog Maastricht, Brüssel, Amsterdam, 2002
From Quinten Metsijs to Peter Paul Rubens. Masterpieces from the Royal Museum reunited in the Cathedral, Ausstellungskatalog Antwerpen 2009
Jordaens und die Antike, Ausstellungskatalog Kassel, Brüssel 2012
Peter C. Sutton, The Age of Rubens, Ausstellungskatalog Boston 1993
Jacques Derrida, Die Wahrheit in der Malerei, Wien (Passagen) 1992
Reindert L. Falkenburg, „Pieter Aertsen, Rhyparographer“, in:
https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/2641/298_016.pdf;sequence=1
David Freedberg, Iconoclasm and Painting in the Revolt of the Netherlands 1566 – 1609, London, New York (Garland Publishing) 1988
Elizabeth McGrath, Rubens’ Subjects from History, (Harvey Miller Publishing), 1997
Elizabeth McGrath, „Jacob Jordaens and Moses’s Ethiopian Wife”, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Vol. 70 (2007), pp. 247 - 285.
Eckhard Leuschner (Hg.), Rekonstruktion der Gesellschaft aus Kunst. Antwerpener Malerei und Graphik in und nach den Katastrophen des späten 16. Jahrhunderts, Petersberg (Michael Imhof Verlag) 2016
Emmanuel Levinas, „Die Wirklichkeit und ihr Schatten“, in: Emmanuel Levinas, Die Unvorhersehbarkeiten der Geschichte, Freiburg, München (Verlag Karl Alber) 2006, S. 105 – 124.
Louis Marin, Das Porträt des Königs, Zürich, Berlin (diaphanes) 2005
Louis Marin, Die Malerei zerstören, Zürich, Berlin (diaphanes) 2001
Jean-Luc Nancy, Dekonstruktion des Christentums, Zürich, Berlin (diaphanes) 2008
Jean-Luc Nancy, Heimsuchung. Von der christlichen Malerei, Wien, Berlin (Turia + Kant) 2016
Maurice Merleau-Ponty, Das Sichtbare und das Unsichtbare, München (Fink) 2004
Susan Merriam, Seventeeth-Century Flemish Garland Paintings: Still Life, Vision and the Devotional Image, London (Ashgate Publishing) 2012
Victor I. Stoichita, Das selbtbewußte Bild: Der Ursprung der Meta-Malerei, München (Fink) 1998
Filip Vermeylen, Painting for the Market. Commercialization of Art in Antwerp’s Golden Age, Turnhout, Belgium (Brepols Publishers) 2003
Martin Warnke, Kommentare zu Rubens, Berlin (Walter de Gruyter) 1965
Hans Vlieghe, Flemish Art and Architecture 1585 – 1700, New Haven (Yale University Press) 1998
Hans Vlieghe, Katlijne Van der Stighelen (Hg.), Sponsors of the Past: Flemish Art and Patronage 1550 - 1700, Turnhout, Belgium (Brepols Publishers) 2005

Prüfungsmodalitäten

Anwesenheit, kleine schriftl. Arbeit

Anmerkungen

Wegen Erkrankung von Prof. Draxler entfällt der 1. Termin am 13. Oktober 2016 – das Seminar startet nun am 20. Oktober 2016!

Termine

20. Oktober 2016, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum
27. Oktober 2016, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum
03. November 2016, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum
10. November 2016, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum
24. November 2016, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum
01. Dezember 2016, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum
15. Dezember 2016, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum
12. Jänner 2017, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum
19. Jänner 2017, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum
26. Jänner 2017, 17:30–19:00 Expositur Franz-Josefs-Kai, Seminarraum

LV-Anmeldung

Per E-Mail: helmut.draxler@uni-ak.ac.at

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: aus Kunsttheorie (4.0 ECTS) 067/003.20

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Bachelor): Wissenschaftliche Praxis: FOR: Lehrveranstaltungen nach Wahl aus Wissenschaftliche Praxis (4.0 ECTS) 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach kkp (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE (4.0 ECTS) 067/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach tex (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE (4.0 ECTS) 071/003.80

Lehramt: Unterrichtsfach dae (Master): Wissenschaftliche Praxis: Lehrveranstaltung nach Wahl aus wissenschaftlicher Praxis, SE (4.0 ECTS) 072/003.80

TransArts - Transdisziplinäre Kunst (Bachelor): Theoretische Grundlagen: Theoretische Grundlagen (4.0 ECTS) 180/003.01

Mitbelegung: möglich

Besuch einzelner Lehrveranstaltungen: möglich